sic! 2002 Ausgabe 4
CHRISTIAN HILTI*

Ein eidgenössisches Patentgericht (EPG) 1. Instanz in greifbarer Nähe?

Zwei Entwicklungen lassen hoffen, dass die Schweiz in nicht allzu ferner Zukunft über ein kompetentes Eidgenössisches Patentgericht (EPG) verfügen wird: Auf internationaler Ebene haben die Bemühungen des IGE für ein europäisches Streitregelungsprotokoll (European Patent Litigation Protocol/EPLP) dazu geführt, dass sich die Mitgliedstaaten des EPÜ und die EU über einen wirksamen Patentrechtsschutz Gedanken machen. Auf nationaler Ebene hat die Teilrevision der Bundesrechtspflege den Weg geebnet, um eine sinnvolle Schnittstelle schaffen zu können: Ein EPG könnte so als Basis für eine im EPLP vorgesehene "Regionale Kammer" dienen. Auch wenn das Schicksal des EPLP noch nicht gesichert ist, würde ein EPG die Qualität der Patentrechtsprechung in der Schweiz entscheidend verbessern. Mit einer Tagung der economiesuisse soll Ende April 2002 ein Startschuss für die Schaffung eines EPG erfolgen.

Deux développements laissent espérer que la Suisse disposera d'un tribunal fédéral des brevets (TFB) dans un avenir relativement proche: sur le plan international, les efforts de l'IFPI pour un protocole relatif au règlement des contentieux en matière de brevets européens (European Patent Litigation Protocol/EPLP) ont conduit les Etats contractants de la CBE et de l'UE à réfléchir à une protection juridique efficace en matière de brevets d'invention; sur le plan national, la révision partielle de la loi fédérale d'organisation judiciaire a ouvert la voie pour parvenir à une solution judicieuse: un tribunal fédéral des brevets (TFB) pourrait jouer le rôle dévolu à une chambre régionale selon l'EPLP. Même si le destin de l'EPLP n'est pas encore fixé, un tribunal fédéral des brevets (TFB) améliorerait de manière considérable la qualité de la jurisprudence en matière de brevets en Suisse. Un congrès organisé par economiesuisse à fin avril 2002 devrait donner le coup d'envoi pour la création d'un tel tribunal fédéral des brevets.


I. Einleitung
II.Internationale Entwicklung: EPLP
III.Nationale Entwicklung: Zivilprozessrecht und Gerichtsorganisation in Patentsachen als mögliche Bundeskompetenz
IV.Ausgangslage: Keine ausreichende Erfahrung der meisten Schweizer Gerichte in Patentsachen
V. Realisierung im Zuge der laufenden Teilrevision des Patentgesetzes?
VI. 
Die Thesen der AIPPI Schweiz für ein EPG
            1.Grundsatzthese: Ein EPG soll sachkompetent und innert nützlicher Frist Patentgerichtsstreitigkeiten erstinstanzlich für das ganze Gebiet der Schweiz beurteilen
2.Sachliche Zuständigkeit und Verfahrensdauer in ordentlichen Patentprozessen und Massnahmeverfahren
3.Verfahrenssprache
4.Personelle Dotierung
5.Verbindung mit der Rekurskommission für geistiges Eigentum?
6.Verfahrensordnung
7.Rechtsmittel
8.Der Sitz eines EPG spielt aufgrund der heutigen Mobilität nur noch eine untergeordnete Rolle
9.Zukunftsorientierung: Das EPG soll so organisiert und konstruiert werden, dass es u.a. auch als Schnittstelle zu einer künftigen europäischen Patent- und allenfalls Markengerichtsbarkeit fungieren kann
10.  Zeitliche Perspektive 2003
VII.  
Schlussbemerkung


I. Einleitung
Die Chancen, in 1 bis 2 Jahren ein erstinstanzliches Eidgenössisches Patentgericht (EPG) verwirklichen zu können, sind fast über Nacht markant gewachsen. Wer die gemächlichen schweizerischen Verhältnisse kennt, hält dies für eine provokative Behauptung; sie ist deshalb hier vorerst zu begründen und anschliessend im grösseren Fachkreis zu diskutieren. Die Diskussion soll anlässlich einer Tagung der economiesuisse, Ende April 2002 stattfinden.
Zwei parallele Entwicklungsstränge haben während des vergangenen Jahres (2001) wesentlich dazu beigetragen, dass Hoffnung aufkeimen darf, dass die Schweiz in absehbarer Zeit über ein kompetentes EPG verfügen wird: Auf internationaler Ebene haben die wesentlich vom IGE und seiner Direktion (Dr. Roland Grossenbacher und Dr. Felix Addor) initiierten und geförderten Bemühungen für ein europäisches Streitregelungsprotokoll (European Patent Litigation Protocol / EPLP) dazu geführt, dass die Mitgliedstaaten des EPÜ und die EU angefangen haben, sich über einen wirksamen Rechtsschutz in Patentsachen – über das Gemeinschaftspatentübereinkommen hinaus – Gedanken zu machen.
Auf nationaler Ebene hat die Teilrevision der Bundesrechtspflege den Weg geebnet, dass die Schweiz eine sinnvolle Schnittstelle zum EPLP in Form eines EPG schaffen könnte.

II. Internationale Entwicklung: EPLP
Es ist, wie erwähnt, auf die verdankenswerte Initiative vor allem des IGE zurückzuführen, dass auf europäischer Ebene innert kürzester Zeit ein immer konsensfähiger werdender Entwurf eines EPLP erarbeitet wurde, der eine Vereinheitlichung der Patentrechtsprechung für europäische Patente auf europäischer Ebene vorsieht1. Der Entwurf für ein EPLP soll Ende 2002 in einer endgültigen Fassung vorliegen.
Keinen Anklang unter den EPÜ-Mitgliedstaaten fand allerdings die ursprüngliche Idee, rein europäische Patentgerichte und einen rein europäischen Instanzenzug zu schaffen. Vor allem Deutschland und Frankreich fürchteten, damit ihr nationales und (vor allem in Deutschland) funktionstüchtiges Rechtschutzsystem in Patensachen anstelle eines nicht absehbaren europäischen Systems aufgeben zu müssen. Der dritte Entwurf des EPLP sieht nun neben einer «Zentralen Kammer» so genannte «Regionale Kammern» (Regional Divisions) eines European Patent Court of First Instance (EPC1) vor. Solche Regionale Kammern können auf Antrag eines jeden Landes oder einer Gruppe von Ländern geschaffen werden, die dann regional für europäische Patentstreitigkeiten im entsprechenden Territorium zuständig wären2. Eine solche Regionale Kammer kann im Wesentlichen auch aus einem in Patentsachen erfahrenen nationalen Gericht bestehen. Voraussetzung dafür ist aber selbstverständlich, dass eine solche, aus einem nationalen Gericht bestehende Regionale Kammer personell mindestens mit zwei erfahrenen Patentrichtern dauernd dotiert werden kann3
Im konkreten Patentverletzungsfall soll der Spruchkörper einer solchen Regionalen Kammer bei internationalen Sachverhalten zusätz- lich mit einem europäischen Patentrichter eines anderen EPÜ-Landes verstärkt werden4.
Darüber hinaus soll die Verfahrensordnung in Patentkonflikten, die europäische Patente betreffen, schon in 1. Instanz vor der Regionalen Kammer europäisch ausgestaltet sein, um eine längerfristige Harmonisierung des europäischen Rechtsschutzsystems zu erreichen.
Das EPLP wird allerdings noch einige Hürden zu nehmen haben. Hinzuweisen ist vor allem darauf, dass die EU-Kommission sich auf den Standpunkt stellt, dass die einzelnen EU-Mitgliedstaaten gar nicht mehr kompetent seien, einen Staatsvertrag wie das EPLP abzuschliessen. Sie stützt sich dabei auf die EU-Verordnung Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Diese EU-Verordnung, die am 1. März 2002 in Kraft getreten ist, ersetzt das gleichnamige Brüsseler Übereinkommen5 und schränkt die Möglichkeit der EU-Mitgliedstaaten ein, autonom auf staatsvertraglicher Ebene neue gerichtliche Zuständigkeiten betreffend die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (wozu natürlich auch Patentsachen gehören) zu schaffen.
Einem Bericht des Vorsitzenden der AIPPI Arbeitsgruppe zu Frage Q1656 ist zu entnehmen, dass die Haltung der EU-Kommission ambivalent ist. Bemerkenswerterweise scheint die EU-Kommission die Arbeiten am EPLP trotzdem weiter gewähren zu lassen und die Regierungsdelegationen scheinen entschlossen, das EPLP bis hin zu einer diplomatischen Konferenz auszuhandeln. Die EU-Kommission hätte dann gemäss Bericht nur noch die Wahl, die Frage vom Europäischen Gerichtshof klären zu lassen. Das zwiespältige Verhalten der EU-Kommission lässt die Vermutung entstehen, dass sie nicht auf ihrem Standpunkt beharren wird. Auch für die EU wäre jedenfalls der Spatz in der Hand in Form des EPLP im Vergleich zur Taube auf dem Dach in Form des kurzfristig kaum realisierbaren Gemeinschaftspatentübereinkommens (GPÜ) vorzuziehen.

III. Nationale Entwicklung: Zivilprozessrecht und Gerichtsorganisation in Patentsachen als mögliche Bundeskompetenz
Auf nationaler Ebene hat der zweite Entwicklungsstrang, nämlich die grundlegende Justizreform auf eidgenössischer Ebene, die 2001 in Kraft trat, die Basis dafür geschaffen, dass ein Bundespatentgericht innert vernünftiger Frist geschaffen werden könnte7. Gemäss dem revidierten Art. 122 Abs. 2 BV sind nämlich für die Organisation der Gerichte und der Rechtsprechung in Zivilsachen die Kantone nur noch zuständig, soweit ein Bundesgesetz nichts anderes vorsieht.
Der neue Art. 191a BV gibt dem Bund die Kompetenz, auf Gesetzesebene weitere richterliche Behörden des Bundes vorzusehen. In der Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege wurde dazu explizit ausgeführt, denkbar wäre namentlich die Schaffung eines EPG oder gar eines Bundesgerichts (1. Instanz) für Immaterialgüterrecht8.
Bei einem EPG handelt es sich um ein schon seit Jahren formuliertes, dringendes Bedürfnis der betroffenen Kreise (Schutzrechtsinhaber und forensisch tätige Vertreter), das ausnahmsweise wohl kaum mit politischem Widerstand rechnen müsste. Im Gegenteil: Die meisten Kantone bzw. zuständigen kantonalen Instanzen wären möglicherweise froh, wenn sie von der Behandlung von Patentverletzungs- und Patentnichtigkeitsprozessen verschont blieben. Derartige Prozesse absorbieren bei denjenigen kantonalen Gerichten, die nicht über entsprechende Erfahrung verfügen, enorme personelle bzw. zeitliche Ressourcen und richten damit nicht nur bei den rechtsuchenden Schutzrechtsinhabern, sondern auch bei den Behörden mehr volkswirtschaftlichen Schaden an, als dass sie wirksamen Rechtsschutz bieten könnten.

IV. Ausgangslage: Keine ausreichende Erfahrung der meisten Schweizer Gerichte in Patentsachen
Eine von Rechtsanwalt Dr. Peter Heinrich bei sämtlichen Schweizer Gerichten durchgeführte Umfrage ergab, dass in der überwiegenden Mehrzahl der Kantone jährlich zwischen Null und einem einzigen ordentlichen Patentprozess oder einem Gesuch um vorsorgliche Massnahme eingeleitet wird9. Die meisten dieser Gerichte würden daher nicht einmal annähernd die Voraussetzung für eine «Regionale Kammer» gemäss EPLP erfüllen. Dagegen würde eine Zentralisierung der Patentrechtskonflikte bei einem erstinstanzlichen EPG ohne weiteres einen ausreichenden Erfahrungsschatz der dort tätigen Richter gewährleisten. Ein EPG ist unter den gegebenen Umständen aus internationaler Sicht ein Gebot der Stunde.
Aus nationaler Sicht ist der Patentrechtschutz in der Schweiz oft eine GATT/TRIPS-widrige Farce, wenn sich Gerichte damit befassen müssen, die aufgrund fehlender Erfahrung verständlicherweise nicht in der Lage sind, das Patentrecht innert vernünftiger Frist kompetent anzuwenden und damit die Rechtsdurchsetzung zu gewährleisten10. Diesbezüglich ist besonders darauf hinzuweisen, dass paradoxerweise gerade bei komplexen internationalen Sachverhalten, d.h. bei ausländischen Schutzrechtsinhabern aufgrund von Art. 109 Abs. 1 IPRG die Möglichkeit, ein kompetentes Gericht zu wählen, oft nicht gegeben ist, weil – anders als im neuen Gerichtsstandsgesetz – grundsätzlich das Gericht am Sitz des beklagten schweizerischen Patentverletzers zuständig ist. Dies zwingt bei internationalen Sachverhalten öfters zu Klagen in Kantonen, wo die Gerichte nicht über die erforderliche Fachkompetenz in Patentsachen verfügen – für einen Industriestaat wie die Schweiz (und deren Rechtsvertreter) immer wieder eine peinliche Situation. Die Peinlichkeiten, die sich vor derart unerfahrenen Gerichten abspielen, lassen sich ausländischen Inhabern von in der Schweiz wirksamen Schutzrechten nicht erklären. Diese erwarten nicht nur von ihrem eigenen Land, sondern auch von der Schweiz, dass sie über ein funktionstüchtiges Rechtsschutzsystem in Patentsachen verfügt; in dieser Erwartung werden sie aber oft bitter enttäuscht, sobald sie in Helvetien ihre Rechte durchsetzen wollen11.

V. Realisierung im Zuge der laufenden Teilrevision des Patentgesetzes?
Es stellt sich somit die Frage, wie ein EPG innert nützlicher Frist in die Tat umgesetzt werden könnte. Zuerst ist dabei an die derzeit laufende Teilrevision des Patentgesetzes zu denken.
Diese Lösung scheint auf den ersten Blick überraschend, doch führt das IGE im Zuge der Patentgesetzrevision auch eine kleine Markenschutzgesetzrevision durch12. Im Vergleich dazu scheint die Schaffung eines EPG ungleich dringender und naheliegender. Es wäre daher schade, wenn das IGE diese Möglichkeit nicht wahrnähme und mindestens einen Grundsatzartikel für ein EPG aufnähme, der dann auf Gesetzes- und Verordnungsstufe konkretisiert werden könnte. Die Vernehmlassungsfrist für die Teilrevision des Patentgesetzes läuft noch bis zum 30. April 2002. Die schutzrechtsanmeldende Industrie, die Wirtschaftsverbände und interessierten Kreise sollten die Möglichkeit wahrnehmen, im Zuge der Vernehmlassung auf das dringende Bedürfnis nach einem kompetenten EPG hinzuweisen, das an die Stelle von 26 kantonalen Gerichten treten würde, von denen es einer Mehrzahl an Erfahrung fehlt, um Patentprozesse sinnvoll abzuwickeln. Sollte die Teilrevision des Patentgesetzes aus politischen Gründen scheitern, die nichts mit dem Postulat eines EPG zu tun haben, wäre damit nichts verloren. Vielmehr wäre das Bedürfnis angemeldet und in den Gesetzgebungsprozess eingebracht, womit das Anliegen bei nächster Gelegenheit in einer separaten Vorlage oder im Zuge einer anderen immaterialgüterrechtlichen Gesetzesrevision weiter verfolgt werden könnte.

VI. Die Thesen der AIPPI Schweiz für ein EPG
Im Zuge der laufenden Entwicklungen hat eine Arbeitsgruppe der AIPPI Schweiz einen Thesenkatalog für ein EPG ausgearbeitet. Diese Thesen sind nicht als der Weisheit letzter Schluss, sondern als Diskussionsgrundlage zu verstehen, mit der eine konstruktive Auseinandersetzung über die Realisierung und Konkretisierung eines EPG in Gang gesetzt werden soll. Die Thesen werden hier in der gebotenen Kürze in den Raum gestellt. Es bleibt zu hoffen, dass sie an der Ende April vorgesehenen Tagung der economiesuisse dazu dienen werden, ein EPG innert absehbarer Frist aus der Taufe zu heben.

1. Grundsatzthese: Ein EPG soll sachkompetent und innert nützlicher Frist Patentgerichtsstreitigkeiten erstinstanzlich für das ganze Gebiet der Schweiz beurteilen
Der Grundsatzthese ist wenig hinzuzufügen. Sie ist derart allgemein, dass sie nur – aber immerhin – als Zielsetzung dienen kann, an dem sich ein modernes Patentgericht messen lassen muss.

2. Sachliche Zuständigkeit und Verfahrensdauer in ordentlichen Patentprozessen und Massnahmeverfahren
Die exklusive sachliche Zuständigkeit für alle ordentlichen Klagen sowie Massnahmeverfahren aus dem PatG (d.h. für schweizerische und europäische Patente) soll gewährleistet sein.
Fragen könnte man sich noch, ob nicht auch Vertragsstreitigkeiten mit Bezug zu Patenten dem EPG anvertraut werden könnten.
Das Ziel für eine durchschnittliche Verfahrensdauer bis zu einem Urteil in 1. Instanz sollte 18 Monate nicht überschreiten. Dies entspricht etwa der Verfahrensdauer vor kompetenten deutschen Gerichten.
Massnahmeverfahren sollten dagegen 2 bis 6 Monate in aller Regel nicht überschreiten. Dies dürfte einer üblichen Verfahrensdauer in einem Massnahmeverfahren vor dem Handelsgericht Zürich entsprechen.

3. Verfahrenssprache
Verfahrenssprache läge die Sprache am Sitz des Beklagten nahe. Bei mehreren Beklagten könnte der Kläger eine Verfahrenssprache am Sitz eines Beklagten wählen.
Hat kein Beklagter Sitz in der Schweiz, wäre nach Wahl des Klägers alternativ die Amtssprache an seinem Sitz oder die Amtssprache, in der das Patent abgefasst oder übersetzt wurde, wohl die naheliegendste Variante.

4. Personelle Dotierung
Erforderlich wäre in einer Anfangsphase mindestens ein vollamtlicher Vorsitzender des Gerichts. Zusätzlich müsste eine ausreichende Anzahl von Richtern von spezialisierten Gerichten als Bundespatentrichter zur Verfügung stehen, die über genügend Erfahrung in Patentstreitigkeiten verfügen (und die an ihren lokalen Gerichten von Patentstreitigkeiten entlastet würden).
Ebenso sinnvoll wäre der Beizug von in Patentstreitigkeiten erfahrenen technischen Sachverständigen mit Patentpraxis als Handelsrichter (v.a. Patentanwälte, die als Vertreter beim EPA zugelassen sind).
Mit dem Inkrafttreten des EPLP wären mindestens zwei ständige Bundespatentrichter erforderlich.

5. Verbindung mit der Rekurskommission für geistiges Eigentum?
Mit einer längerfristigen Perspektive eines Immaterialgüterrechtsgerichts liesse sich sogar eine Verbindung mit der Rekurskommission für geistiges Eigentum in Erwägung ziehen – trotz grundsätzlicher Unterschiede des Verwaltungs- und des Zivilverfahrens. Im heutigen Zeitpunkt wäre eine solche Verbindung aufgrund der eingangs (Ziff. VI. 1.) formulierten Grundsatzthese aber eher skeptisch zu beurteilen, zumal schon markenrechtliche Verfahren vor der Rekurskommission übermässig lange dauern. Erwogen werden könnte höchstens eine administrative Zusammenlegung – und selbst dies nur, wenn sichergestellt würde, dass darunter die Sachkompetenz und Effizienz des EPG nicht leiden würde.
Selbstverständlich könnte ein Mitglied der Rekurskommission auch Mitglied des EPG sein und umgekehrt, sofern das betreffende Mitglied über intensive Patentprozesserfahrung als Richter oder Rechts- bzw. Patentanwalt verfügt.
Es versteht sich zudem, dass bei der Schaffung eines EPG die laufende Entwicklung betreffend Bundesgerichtsgesetz und Bundesverwaltungsgerichtsgesetz berücksichtigt werden muss.

6. Verfahrensordnung
Es besteht Hoffnung, dass eine schweizerische ZPO rechtzeitig in Kraft treten wird, bis ein EPG eingerichtet ist. Gegebenenfalls müsste sie selbstverständlich auch auf Patentprozesse anwendbar sein. Falls bis dann noch keine schweizerische ZPO vorliegt, könnte eine Übergangslösung, soweit erforderlich, durch eine geringfügige Anpassung der zurzeit gültigen Bundeszivilprozessordnung (SR 273) auf ein erstinstanzliches Verfahren vor EPG verwirklicht werden.
Sollte das EPLP Wirklichkeit werden, müsste mittels Verweis in einer zukünftigen schweizerischen ZPO sichergestellt sein, dass auf Patentprozesse betreffend europäische (und evtl. auch schweizerische?) Patente die im EPLP vorgesehene europäische Verfahrensordnung Anwendung fände.
Im Übrigen wäre sicher eine «offene Regelung» ratsam, die eine faktische und flexible Anlehnung an das Verfahren desjenigen Handelsgerichts erlaubt, das in der Schweiz über am meisten Erfahrung in Patentprozessen verfügt (Handelsgericht Zürich)13.

7. Rechtsmittel
Bis zum Inkrafttreten des EPLP bliebe selbstverständlich die Berufung an das Bundesgericht als einzige Instanz unberührt.
Erwogen werden könnte höchstens eine Anpassung von Art. 67 OG in dem Sinn, dass das Bundesgericht den Sachverhalt unter gewissen Voraussetzungen prüfen muss statt nur kann.
Unvermeidbar wäre dagegen eine Teilung des Instanzenzuges für europäische Patente bei Inkrafttreten des EPLP. Patentprozesse betreffend europäische Patente müssten inskünftig direkt an ein europäisches Patentgericht zweiter (und letzter) Instanz weitergezogen werden können.

8. Der Sitz eines EPG spielt aufgrund der heutigen Mobilität nur noch eine untergeordnete Rolle
Ein EPG erster Instanz sollte aus allen Landesteilen gut erreichbar sein. Aufgrund der heutigen Mobilität dürfte der Sitz nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.

9. Zukunftsorientierung: Das EPG soll so organisiert und konstituiert werden, dass es u.a. auch als Schnittstelle zu einer künftigen europäischen Patent- und allenfalls Markengerichtsbarkeit fungieren kann
Diese These ist mit den vorangegangenen Ausführungen im Grunde bereits vorweggenommen worden. Hinzuzufügen bliebe, dass ein EPG so offen konstituiert werden sollte und könnte, dass ihm längerfristig u.U. auch, wie in der Botschaft14 bereits angesprochen, umfassendere Kompetenzen in Immaterialgüterrechtssachen (Wettbewerbsrecht, UWG, KG etc.) anvertraut werden könnten. Es ist nämlich nicht nur für die Rechtsuchenden, sondern auch für die Gerichte von Vorteil, wenn durch eine Zusammenführung von Sach- und Fachkompetenz in komplexen spezialgesetzlichen Streitfällen volkswirtschaftlich effiziente Lösungen geschaffen und auf diese Weise kantonale Gerichte entlastet werden. Dies erlaubt den kantonalen Gerichten, sich besser auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren.

10. Zeitliche Perspektive: 2003
Ein EPG sollte im Verlauf des Jahres 2003 seine Tätigkeit aufnehmen können. Dieses ehrgeizige Ziel ist nicht nur realisierbar, sondern drängt sich auch deshalb auf, weil sich ein nationales EPG bereits etabliert haben sollte, bevor das EPLP in Kraft tritt.

VII. Schlussbemerkung
Die dringende Notwendigkeit eines EPG wurde bis heute leider zu wenig ernst genommen. Eine solche Lösung drängt sich aber sowohl aus internationaler wie auch aus nationaler Sicht immer mehr auf15. Auf nationaler Ebene sind die verfassungsmässigen und politischen Voraussetzungen für ein EPG heute sicher gegeben. Mit Blick auf die internationale Entwicklung bezüglich EPLP muss jedoch mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass die Schweiz aufgrund der prozessualen Rechtszersplitterung in 26 kantonale Patentrechtsinstanzen im heutigen Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine eigene Regionale Kammer kaum längerfristig sicherstellen könnte. Ein zentrales EPG könnte dagegen als «Nukleus» für eine EPLP-konforme nationale Regionale Kammer dienen.
Das Ziel ist hoch gesteckt – auch in zeitlicher Hinsicht. Die Realisierung steht und fällt mit der tatkräftigen Unterstützung aller involvierten Kreise, allen voran des IGE, des BJ, der betroffenen Wirtschaft, sowie der Wirtschafts- und Interessenverbände.
Ein Fehlschlag hätte zur Folge, dass die Schweiz beim gerichtlichen Rechtsschutz in Patentsachen – von ganz wenigen kantonalen Ausnahmen abgesehen – weiterhin auf dem Niveau eines Entwicklungslandes stehen bliebe. Wir haben im Gegensatz zu solchen Ländern allerdings die Möglichkeit, derartige Missstände zu beheben. Es bleibt zu hoffen, dass mit der Tagung der economiesuisse vom 30. April 2002 ein baldiges Ende der derzeit unbefriedigenden Situation eingeläutet wird.

Anhang: Umfrage von Dr. Peter Heinrich (Rechtsanwalt, Zürich) bei den kantonalen Gerichten betreffend die Zahl jährlich anhängig gemachter ordentlicher Klagen und Massnahmeverfahren in Patentsachen:
(Tabelle als PDF-Datei)



*Vorsitzender der Arbeitsgruppe der AIPPI-Schweiz "Eidgenössisches Patentgericht / EPLP".
1Einzelheiten zur Entwicklung und zur 3. Fassung des EPLP Entwurfs sind der IGE Webseite (www.ige.ch) unter der Rubrik juristische Informationen / Rechtsgebiete / Patente / Europäisches Patenübereinkommen / Streitregelung / zu entnehmen: 3rd Proposal for an EPLP, drawn up by Mr. Willems and addressed to the Sub-Group oft the Working Party on Litigation (for opinion) / WPL/SUB 20/01, Original in Englisch, Munich, 27. August 2001 (nachfolgend kurz zitiert mit: "3rd Proposal EPLP").
2 Die Zuständigkeit richtet sich dann nach den Regeln des Lugano bzw. Brüsseler Übereinkommens bzw. der neuen EU-Verordnung Nr. 44/2001, dazu gleich nachfolgend
3Mindestanforderung ist, dass jeder dieser Richter in den vergangenen drei Jahren mindestens 10 Patenfälle behandelte: 3rd Proposal for an EPLP (Fn. 1), 22, Zeilen 944 - 947.
43rd Proposal EPLP, 21 f.
5Vgl. Art. 68 EU-Verordnung 44/2001
6Das Thema bzw. die von einer Expertengruppe der AIPPI bearbeitete Frage Q165 lautet: Fakultatives Protokoll zum EPÜ bezüglich Streitigkeiten über europäische Patente und Gemeinschaftpatente; Einzelheiten dazu unter www.aippi.org / Questions / Committees / Special Committees / Q165.
7Siehe Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001 Nr. 01.023, 21 bzw. BBI 2001, 4222. Ein Vorstoss zur Schaffung eines EPG in den 50er Jahren scheiterte an den damals noch bestehenden verfassungsrechtlichen Schranken und wurde deshalb für Jahrzehnte von der Agenda gestrichen (siehe im einzelnen W. STIEGER, Das schweizerische Patenerteilungsverfahren - Rückblick und Vorschau, in: Kernprobleme des Patenrechts, Bern 1988, 95 ff. unter Hinweis auf R. E. BLUM / M. M. PEDRAZZINI, Das Schweizerische Patenrecht, Bd. II, Bern 1975, PatG 26 N 37, 218 m.w.H.)
8 Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, (Fn. 7), Separatdruck, 21 bzw. BBI 2001, 4222.
9Vgl. Die Übersicht im Anhang. Die Zahlen wurden von den kantonalen Instanzen mitgeteilt, sind aber mit Vorsicht zu geniessen. Der Schreibende hat z.B. in den vergangen Jahren ein Massnahmeverfahren in einer Patentsache in St. Gallen durchgeführt und einen ordentlichen Patenprozess im Kanton Waadt begleitet, ohne dass diese im Umfrageergebnis aufscheinen. Die Zahlen der Verfahren dürften daher eher (wenn auch geringfügig) höher liegen.
10Vgl. etwa Part III GATT/TRIPS-Agreement: Enforcement of Intellectual Property Rights: "Members shall ensure that enforement procedures as specified in this Part are available under their national laws so as to permit effective action against any act of infringement of intellectual property rights covered by this Agreement, including expeditious remedies to prevent infringements and remedies, which constitute a deterrent to further infringement..." (Hervorhebung durch den Verfasser.) Die meisten kantonalen Gerichte können diesen Anforderungen aus nachvollziehbaren Gründen nicht gerecht werden.
11Dagegen steht Inhabern von schweizerischen Schutzrechten bei reinen Binnensachverhalten (beide Parteien mit Domizil in der Schweiz) aufgrund des neuen Gerichtsstandsgesetzes eine fast beliebige forum-shopping-Möglichkeit zur Verfügung, die seltsamerweise auch noch den Sitz des klagenden Geschädigten (Schutzrechstinhabers!) umfasst (Art. 25 GestG)
12Siehe Entwurf zur Teilrevision des Patentgesetzes, Anhang, Änderung bisherigen Rechts, Markenschutzgesetz; nebenbei erwähnt wird auch gleich das Bundesgesetz über Statut und Aufgaben des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum im Anhang zur Teilrevision des Patengesetzes ergänzt.
13Bei diesem Vorschlag handelt es sich nicht um eine "föderalistische" Bevorzugung eines einzelnen gegenüber einer Herabsetzung anderer Gerichte, sondern um den Rückgriff auf den Erfahrungsschatz des über die Kantonsgrenzen hinaus anerkanntesten schweizerischen Patentgerichts.
14Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (Fn. 7), 21 bzw. BBI 2001, 4222.
15 
Mit zu berücksichtigen ist dabei auch die zunehmende Bedeutung des geistigen Eigentums in den modernen Industrie- und Dienstleistungsstaaten!


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