sic! 2002 Ausgabe 5
MARCEL BIRCHER*

Privates Fernsehen in der Schweiz: Ein Scherbenhaufen? - Tagung des Schweizer Forum für Kommunikationsrecht vom 5. März 2002

Schweizer Forum für Kommunikationsrecht / Forum Suisse pour le Droit de Communication

Nach dem Aus für TV3 und Tele24 und den durch die Medien emotional geprägten Diskussionen um Werbeverbote und -fenster nahm sich das Schweizer Forum für Kommunikationsrecht vor dem Hintergrund der vom Bundesrat eingeleiteten Revision des RTVG dem Thema auf sachlicher Ebene an.
Nach einer Einleitung von Dr. Mathis Berger, Geschäftsführer SF-FS, gab Prof. Dr. Bertil Cottier vom Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung in Lausanne einen Überblick über den Stand der europäischen Fernsehordnungen. Auch wenn heute überall in Europa öffentlich-rechtliches und privates Fernsehen neben einander bestehen, so ist ein weitergehender Quervergleich aufgrund der geschichtlichen und gesellschaftlichen Unterschiede schwierig. Ebenso ist festzustellen, dass die europäischen Harmonisierungsbestrebungen – vor allem mangels Kompetenzen im Kulturbereich – noch ziemlich schwach sind, sowohl auf Ebene des Europarates (Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen von 1989) als auch in der EU (Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit [Richtlinie «Fernsehen ohne Grenzen»] von 1989, welche auch auf rein nationale Sendungen anwendbar ist). Angestrebt wird vor allem eine Regelung der Werbung und des Sponsorings sowie die Förderung europäischer Werke, wohingegen Inhalt und Finanzierung des service public sowie die Regulierungsbehörden gänzlich ausgeklammert bleiben. Die Vielfalt der angestrebten Lösungen zeigte sich sodann bei der näheren Betrachtung der Fernsehlandschaft von Frankreich, Österreich, Italien, Schweden und Grossbritannien. Gemeinsam ist diesen Ländern interessanterweise ein feststellbarer Trend hin zur Stärkung des service public durch den nationalen Gesetzgeber, während heute in der Schweiz die Wettbewerbsfähigkeit der privaten Sender in Frage steht.
PD Dr. Urs Saxer, Rechtsanwalt, verdeutlichte zunächst einmal, dass aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der gesetzgeberische Spielraum bei der RTVG-Revision stark begrenzt sei: Neben den starken, vom RTVG nicht betroffenen, ausländischen Sendern stehe die national dominante SRG, sodass für private Anbieter nur noch kleine, sprachregional und teilweise lokal segmentierte Märkte übrig blieben. Verfassungsrechtlicher Parameter ist Art. 93 BV, der ein Abweichen von der Wirtschaftsfreiheit zulässt, jedoch kein bestimmtes Modell einer Rundfunkordnung vorsieht. Diesen verfassungsrechtlichen Gestaltungsraum hat der Bundesrat zur Schaffung eines dualen Systems mit der SRG als einziger service public-Anbieterin genutzt. Daneben sind als weitere Grundpfeiler der RTVG-Revision die Abschaffung des Drei-Ebenen-Modells sowie die vereinfachte Zulassung privater Anbieter zu nennen. Allerdings, so Saxer, seien die Privaten für die gebühren- und werbefinanzierte SRG keine echte Konkurrenz, was die Gefahr in sich berge, dass es de facto bei einem Drei-Ebenen-Modell bleibe und die privaten Anbieter nur regional und lokal Verbreitung erfahren würden, und auch dies ohne nachhaltigen Einfluss. Daran würde auch die Zulassung von Unterbrecherwerbung allein nichts ändern, denn echte Strukturänderungen liessen sich letztlich nur über eine Redimensionierung der SRG erreichen. Da eine Trennung in eine gebührenfinanzierte SRG und in werbefinanziertes Privatfernsehen kaum verfassungskonform durchzuführen wäre, sei der Möglichkeit des Gebührensplittings der Vorzug zu geben. Auswahlkriterium bei der Zuteilung der Gebührengelder an private Anbieter solle aber gerade nicht die Erbringung eines service public sein, sondern die wirtschaftliche und publizistische Leistungsfähigkeit, sodass nur die wenigen privaten Sender zu unterstützen seien, die tatsächlich zu einer Konkurrenz für die SRG werden könnten. Eine andere Möglichkeit zur Schaffung echten Wettbewerbs sei eine zweite Grundversorgungskonzession, die einem privaten Anbieter (oder einem Konsortium von Privaten) vorbehalten sei. Die Finanzierung könne auf dem Weg des Gebührensplittings oder als reine Werbefinanzierung neben der gebührenfinanzierten SRG sichergestellt werden. In jedem Fall sei aber für ein konkurrenzfähiges schweizerisches Privatfernsehen Interventionismus des Staates von Nöten, ein laisser faire reiche nicht mehr aus. Zweifelhaft sei jedoch, ob der politische Wille dafür vorhanden ist, habe dieser doch bis anhin vor allem die starke Position der SRG geschützt.
Den Reigen der Kurzberichte verschiedener Interessenvertreter eröffnete Christian Stärkle, Belcom AG. Er hielt zunächst einmal fest, dass durch staatliche Interventionen die Rahmenbedingungen sich zusätzlich zu Lasten der Privaten verschoben hätten und der Markt verzerrt worden sei. Während die SRG ihr Produkt dank Gebühreneinnahmen nicht am Markt alleine zu finanzieren habe, müssten die Werbefenster der ausländischen Sender gar keine Programmkosten decken, was dazu führe, dass diese Sender den Preis für Werbung beliebig senken könnten – die schweizerischen Privatfernsehstationen demgegenüber hätten einzig und allein diesen unter Druck geratenen Werbemarkt, um sich zu finanzieren. Als Lösung sieht Stärkle – da ein echter Dualismus, wo die Gebühren dem öffentlich-rechtlichen Veranstalter zustehen und die Werbeeinnahmen allein den Privaten zufliessen, realpolitisch unmöglich sei – ein Gebührensplitting und die Befreiung des regionalen und lokalen Privatfernsehens von bestimmten Werbebeschränkungen. Armin Walpen, Generaldirektor SRG idée suisse, stellte grundsätzlich fest, die Schweiz bestehe aus einem zu kleinen und drei viel zu kleinen Märkten. Die Konkurrenten der SRG seien auch nicht die anderen schweizerischen, sondern die starken ausländischen Sender, die in der Schweiz über einen Marktanteil von über 50% verfügten. Ein Vollprogramm, das internationalen Standards genüge, lasse sich ohnehin nicht aus dem Markt finanzieren, weshalb eine Gebührenaufteilung nicht angezeigt sei, wolle man wenigstens mit einem schweizerischen Programm in der Champions League mitspielen. Der Einsatz von Gebührengeldern rechtfertige sich aber nur dann, wenn einer Leistung eine besondere öffentliche Bedeutung zukomme: Der service public sei die Darstellung und Auseinandersetzung mit der schweizerischen Wirklichkeit, stehe für die Solidarität unter den vier Kulturräumen sowie für Qualität und Ethik. Die Optik der Werbung vertraten Andy Lehmann, mediahaus.seefeld ag, und Klaus Kappeler, goldbach media. Lehmann beklagte, vor allem die jüngeren Zielgruppen könnten nach dem Ende von TV3 und Tele24 werbetechnisch nicht mehr erreicht werden, denn die SRG verweigere sich den dadurch «heimatlos» gewordenen Zuschauern und berufe sich bei der Programmgestaltung wieder vermehrt auf den service public. Von dieser Situation profitieren würde vor allem das Medium Print. Kappeler schlug in die gleiche Kerbe mit der Feststellung, die Werbewirtschaft benötige und fokussiere sich deshalb auf junge Fernsehzuschauer, die vor allem von den privaten Sendern bedient würden. Die Privaten seien mithin der Motor für die Entwicklung des TV-Werbemarktes, wovon letztlich auch die SRG als Marktleaderin profitiere. Urs Alleman-Caflisch, ARBUS Schweiz, vertrat die Ansicht, es gäbe genügend Privatfernsehen aus dem Ausland; vorhandene Strukturen, d.h. die SRG, sollten nicht durch Gebührensplitting oder Einschränkungen zugunsten privater schweizerischer Veranstalter geschwächt werden. Die Verbesserung des Fernsehangebots geschehe nicht über ein Herbeizwingen von Privatfernsehen, sondern es müsse Spielraum für Experimente geschaffen werden und medienübergreifende Allianzen grosser Medienunternehmen geschmiedet werden, um die «Stimme der Schweiz» zu erhalten. Wichtigste medienpolitische Ziele blieben die Vielfalt der Medien und die Qualitätssicherung betreffend der Inhalte. Den Abschluss der Kurzreferate machte Dr. Martin Dumermuth, Vizedirektor BAKOM, der bemerkte, die Verfassung gäbe dem Fernsehen die Vorgabe zur Bildung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung beizutragen, ohne jedoch zu sagen, wie dies geschehen solle; Wettbewerb sei also kein Ziel, sondern nur ein Mittel und Werbung habe nur eine dienende Funktion. Solle sich die SRG gegenüber den ausländischen Veranstaltern behaupten können, sei sie neben (zugunsten lokaler Anbieter gesplitteter) Gebühren auch auf Werbegelder angewiesen, da die Zahl der Gebührenzahler hierzulande viel geringer sei als etwa in Deutschland.
In der die Veranstaltung beschliessenden Paneldiskussion hielt Walpen dem Vorwurf, die SRG verliere die jungen Zuschauer, entgegen, die Werbung müsse sich eventuell fragen, wieso sie angesichts der demographischen Entwicklung die älteren Bevölkerungsschichten ignoriere. Die Fragen von Anton Schaller nach dem Fahrplan der RTVG-Revision und der konkreten Ausgestaltung des Gebührensplittings beantwortete Dumermuth dahingehend, dass das RTVG nach den Sommerferien in die Kommission des Erstrates komme, hernach hänge alles vom Differenzbereinigungsverfahren ab; was das Gebührensplitting betreffe, so sei vorgesehen, die Schweiz in zehn bis zwölf Gebiete aufzuteilen und eine Ausschreibung vorzunehmen. Nicht geplant sei – entgegen einer Anregung aus dem Publikum – eine Besteuerung der ausländischen Werbefenster, da es hiezu an einer gesetzlichen Grundlage fehle.



* lic. iur., wiss. Assistent am Lehrstuhl für Technologie- und Informationsrecht an der ETH Zürich



Fenster schliessen