sic! 2002 Ausgabe 5
JÜRG MÜLLER*

Der richterlich bewilligte Erbgang vor dem Tod des Erblassers - Kleine Nachlese zur Verfügung vom 4. März 2002 des Handelgerichts Zürich (Einzelrichter im summarischen Verfahren), sic! 2002, 250

Le Roi est mort: Vive le Roi! Der König darf das Erbe des alten Königs schon zu dessen Lebzeiten antreten. Er verdankt die richterliche Gunst nunmehr mit der Werbung: "Eine neue Fluggesellschaft. Mit 97 Jahren Erfahrung." ...

Le Roi est mort: Vive le Roi! Le nouveau roi peut déjà acquérir la succession de son prédécesseur, du vivant de ce dernier. Il le doit désormais à la bienveillance de la justice grâce à cette publicité: "Une nouvelle compagnie aérienne. Avec 97 ans d'expérience."...

I.  Verwechslungsgefahr
II. Kein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil?

Gewiss: Jeder Bezug auf den erbrechtlichen Grundsatz, wonach der Erbgang (erst) durch den Tod des Erblassers eröffnet wird (Art. 537 Abs. 1 ZGB) verbietet sich ebenso wie der Einwurf eines makaberen Sprichwortes («Die einen sterben, die anderen erben»). Dennoch verblüfft die Quintessenz des hier nur kurz bekrittelten Entscheids: Ein bis anhin nicht nur geliebtes Unternehmen, in nächtlicher Tuschelei zur (neuen) nationalen Fluggesellschaft erkürt und mit Geldern ungleicher Herkunft ausstaffiert, darf schon lange vor dem (möglichen) Untergang der alten nationalen Fluggesellschaft deren Erbe antreten, und zwar auch (oder erst recht) dann, wenn diese sich mit verständlicher Hartnäckigkeit dagegen wehrt, vom neuen Stolz der Nation kennzeichnungsrechtlich ausgenommen zu werden. Denn solcher Abwehrkampf darf gar nicht sein, er stört den Lauf der Dinge und ist schon aus diesem Grund lästig, ja ungehörig, zumal der Widerpart bietende alte Stolz der Nation gar nicht mehr (wie der Einzelrichter wohl unter Rekurs auf Art. 59 aBV meint) «aufrechtstehend» ist und damit (unter anderem) seine während Jahrzehnten aufgebauten Rechte etwa am «Zeichen nationalen Ausdrucks» (Schweizer Wappen) schlagartig eingebüsst hat.
Wen wundert’s, dass dieser Erbgang vor dem Tod des (immerhin nicht mehr aufrechtstehenden) Erblassers zwar nicht vom breiten Publikum (das «sehnlich auf den neuen Brand gewartet» hat), aber doch von denjenigen Juristen, die ein beklagenswertes Defizit an nationalem Stolz aufweisen, in die Sphäre wundersamer Bizarrerien verwiesen wird. Dabei glauben die einen, bei der Urteilsfindung des Einzelrichters politische Vorgaben ausmachen zu können; andere wiederum (und sie sind die boshafteren) berufen sich gar auf Friedrich Dürrenmatt, der uns schon vor Jahren gelehrt hat, der (vermeintliche) Gerechtigkeitssinn könne bisweilen durch die Sensation beflügelt werden, die der Entscheid eines Magistraten auszulösen vermag. Diesen Varianten der Kritik nachzugehen, wäre verlockend. Aber ich widerstehe dem ausserrechtlichen Reiz und kürze die Nachlese auf rein juristische Aspekte:

I. Zur Verwechslungsgefahr
1. Der Einzelrichter bejaht die Verwechslungsgefahr, meint aber, dass eine «abstrakte Diskussion [der Verwechslungsgefahr] unter den Bedingungen eines Denklabors nicht zielführend» sei. Denn allemal sei bekannt, dass das Kennzeichen Swissair von dem (in verschiedenen Varianten auch als Marke hinterlegten) Zeichen Swiss abgelöst werde und es schlicht darum gehe, das «Erbe der Swissair-Gruppe» anzutreten. Die überragende Verkehrsgeltung der Marke Swissair (welcher der Einzelrichter in der Folge aber nur noch einen «sehr kleinen Verkehrswert» zubilligt) und das «unumstössliche und unauslöschliche Basiswissen» weiter Kreise um die Umstände des vorgezogenen Erbgangs würden dazu führen, dass eine rechtlich relevante (konkrete) Verwechslungsgefahr zu verneinen sei.
Das ist zweifellos souveräne Rechtsfindung, doch steht sie im Widerspruch zu dem (von mir als gesichert geglaubten) Grundsatz, wonach starke Marken starken Schutz verdienen und solchen Schutz auch benötigen, ansonsten es um ihre Kennzeichnungskraft rasch geschehen wäre (W. R. Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, Basel 1964, 19 ff.; B. von Büren, Kommentar zum Wettbewerbsgesetz, Zürich 1957, 143 Rn. 103 ff.; E. Marbach, SIWR III, Basel 1996, 114; L. David / M. A. Reutter, Schweizerisches Werberecht, Zürich 2001, 526; Ch. Willi, Kommentar Markenschutzgesetz, Zürich 2001, MSchG 3 N 120 ff.; BGE 122 III 382, «Kammillosan»). Und dieser Grundsatz (der in letzter Konsequenz zum erweiterten Schutz der berühmten Marke geführt hat, Art. 15 MSchG) muss doch auch im vorliegenden Fall gelten. Es gibt unter dem Gesichtspunkt der Verwechslungsgefahr keinen ersichtlichen Grund, ihn kaltherzig über Bord zu werfen und einseitig auf die (an sich begreiflichen) Anliegen der neuen nationalen Fluggesellschaft abzustellen. Und gerade diese Einseitigkeit weckt das unbehagliche Gefühl, es sei letztlich nur um die gerichtliche Durchführung des in der französischen Monarchie üblichen Rufs «Le Roi est mort: Vive le Roi!» gegangen. Am konsequentesten gelingt diese Durchführung bei der These, die Berufung des alten Königs auf durchgesetzte Rechte würden schon allein am Umstand scheitern, dass er nicht mehr «aufrechtstehend» sei – als ob langjährig aufgebaute Rechtspositionen sich über Nacht im Nichts auflösen könnten.
2. Der Einzelrichter weist darauf hin, die Klägerinnen hätten ihre Begehren auch firmenrechtlich und lauterkeitsrechtlich begründet; er reduziert die Streitsache aber auf den Tatbestand der Markenverletzung (Art. 3 Abs. 1 lit. c MSchG). Das ist wiederum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass gerade in lauterkeitsrechtlicher Hinsicht wohl weitere Aspekte zu beurteilen gewesen wären (Rufausbeutung etc.) und sich die Frage der Verwechslungsgefahr entgegen einer immer wieder anzutreffenden Behauptung im Bereich des Kennzeichenrechts keineswegs zwingend nach den gleichen Kriterien beurteilen muss; das geht schon aus den unterschiedlichen Zwecken der verschiedenen Gesetze hervor.

II. Kein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil?
Nachdem der Einzelrichter die Verwechslungsgefahr (meines Erachtens zu Unrecht) verneint hat (was zur Abweisung des Massnahmebegehrens ausgereicht hätte), bemüht er (doppelt nähend) noch ein prozessuales Argument: Es fehle ein den Klägerinnen drohender, nicht mehr leicht wiedergutzumachender Nachteil. Der Einzelrichter stützt hier seine Auffassung auf eine Reihe von Hypothesen, die zu widerlegen ebenso spekulativ wäre wie die richterlichen Annahmen selber. Daher nur Folgendes: Wenn die Marke Swissair (wie der Einzelrichter einräumt) eine überragende Verkehrsgeltung geniesst, ist nicht leicht verständlich, warum von einem «sehr kleinen Verkehrswert» dieser Marke auszugehen sei. Denn es könnte ja sein (und wäre aus meiner Sicht auch weit plausibler), dass das vom Einzelrichter unterstellte «Loserimage» nicht die Marke selber, sondern das Unternehmen und insbesondere dessen Management trifft. Wenn dem so wäre (was der Einzelrichter nicht geprüft hat), müsste ein den Klägerinnen drohender und kaum mehr wiedergutzumachender Nachteil natürlich bejaht werden. Denn es liegt auf der Hand, dass es dem (vom Einzelrichter für nicht mehr «aufrechtstehend», mithin nahezu tot erklärten) alten König nach der Abweisung seiner Massnahmebegehren und dem vom neuen König geschaffenen (richterlich gebilligten) fait accompli kaum mehr möglich sein wird, die Marke Swissair zu versilbern. Le Roi est mort – und seine Marke auch.



* Fürsprecher in Bern.


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