sic! 2002 Ausgabe 9
BEAT WEIBEL*

Stellungnahme zur geplanten EU-Richtlinie betreffend die Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften legt mit dem Dokument 2002 / 00471 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie betreffend die Patentierung von computerimplementierten Erfindungen («Richtlinienvorschlag») vor2. Der vorliegende Beitrag nimmt zu denjenigen Artikeln der geplanten Richtlinie Stellung, die die Patentierbarkeitsvoraussetzungen regeln. Die Stellungnahme orientiert sich am Ziel der Richtlinie, die Rechtslage für computerimplementierte Erfindungen in Europa transparenter zu machen und die Patentierbarkeitsvoraussetzungen zu harmonisieren.
Avec la publication du document 2002/00471, la Commission des Communautés européennes soumet une proposition de nouvelle directive concernant la brevetabilité des inventions mises en œuvre par ordinateur («proposition de directive»)2. Cet article prend position sur les dispositions relatives aux conditions de la brevetabilité eu égard au but de la directive, qui vise à rendre plus transparente la situation juridique des inventions mises en œuvre par ordinateur et à harmoniser les conditions de la brevetabilité.


I.   Ansatzpunkt des Richtlinienvorschlages
II.  Stellungnahme zu den einzelnen Artikeln
III. Schlussfolgerung und Ausblick

I. Ansatzpunkt des Richtlinienvorschlages

Die Kommission möchte nicht nur die Rechtslage transparenter machen und die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen harmonisieren, sich möchte darüber hinaus verhindern, dass computerimplementierte oder gar reine Geschäftsmethoden patentierbar werden. Die Kommission setzt deshalb den Hebel speziell bei der erfinderischen Tätigkeit und bei der Technizität, d.h. dem technischen Beitrag an. Die Technizität wurde in der Vergangenheit vielen computerimplementierten Erfindungen abgesprochen und damit deren Patentierung verhindert. Der technische Beitrag erscheint der Kommission ein geeignetes Mittel zu sein, Geschäftsmethoden wirksam von der Patentierbarkeit auszuschliessen. Insbesondere soll auch verhindert werden, dass Geschäftsmethoden durch die Hintertür der Computerimplementierung patentierbar werden. Der Vorschlag geht ferner aus von der aktuellen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes, welche in ihren Entscheidungen T1173/97 und T931/95 Kriterien für die Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen definiert haben.

II. Stellungnahme zu den einzelnen Artikeln
Die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit werden in den Artikeln 1 bis 5 des Richtlinienvorschlags geregelt: Art. 1 Richtlinienvorschlag3 regelt die Anwendbarkeit der Richtlinie. Sie soll Vorschriften für die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen festlegen. Man beachte, dass sowohl in der deutschen wie auch in der englischen Fassung auf den bestimmen Artikel für Vorschriften verzichtet wurde. Diese Unbestimmtheit gibt somit den nationalen Behörden Raum, weitere Vorschriften zu erlassen. Es handelt sich also nur um Minimalvoraussetzungen. Es fragt sich, ob dadurch das Ziel Harmonisierung der Patentierbarkeitsvoraussetzungen erreicht werden kann oder ob nicht besser der bestimmte Artikel, d.h. «die Vorschriften», verwendet worden wäre.
Eine Definition des Begriffes «computerimplementierte Erfindung» wird in Art. 2 Richtlinienvorschlag4 gegeben. Darunter wird gemäss Abs. a eine Erfindung verstanden, zu deren Ausführung ein Computer, ein Computernetz oder eine sonstige programmierbare Vorrichtung benötigt wird. Die Kommission verzichtet aus verständlichen Gründen darauf, eine eindeutige Definition des Begriffs «Erfindung» anzugeben. Dies könnte aber die Mitgliedstaaten dazu verleiten, computerimplementierte Erfindungen vom Patentschutz auszuschliessen, indem sie ihnen – analog zu Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ – die Qualifikation als patentierbare Erfindung absprechen. Diese Gefahr wird jedoch als gering erachtet, da sie klar im Widerspruch zur Zielsetzung der Richtlinie, nämlich die Patentierungsvoraussetzungen für computerimplementierte Erfindungen anzugeben, stehen würde.
Als weitere Voraussetzung ist notwendig, dass die Erfindung «auf den ersten Blick» mindestens ein neuartiges Merkmal aufweist, das ganz oder teilweise mit einem oder mehreren Computerprogrammen realisiert wird. Durch die Einführung des Begriffes «auf den ersten Blick» soll sichergestellt werden, dass zur Anwendbarkeit dieser Definition keine Neuheitsrecherche durchgeführt werden muss. Die Auswirkungen dieser Regelung sind nicht absehbar: Erstens bietet sie Raum zur Diskussion, ob die Erfindung nur prima facie neu sein muss. Dies steht jedoch klar im Gegensatz zu dem grundlegenden und in Art. 4 Richtlinienvorschlag wiederholten Neuheitserfordernis. Zweitens sei die kritische Frage gestellt, was geschieht, wenn eine computerimplementierte Erfindung nur auf den zweiten Blick neu ist. Die Einführung dieses Merkmals schafft somit keineswegs die gewünschte Klarheit, sondern eröffnet einen ganzen Katalog von Fragen und würde besser weggelassen.
Art. 2 lit. b Richtlinienvorschlag definiert den Begriff «technischer Beitrag.» Darunter soll ein dem Fachmann nicht naheliegender Beitrag zum Stand der Technik verstanden werden, wobei der Beitrag auf einem Gebiet der Technik zu erfolgen hat. Der technische Beitrag an sich ist eine klassische Voraussetzung für die Patentierbarkeit5. Die Verknüpfung mit der erfinderischen Tätigkeit stellt jedoch eine zusätzliche Hürde für computerimplementierte Erfindungen dar, die aus grundsätzlichen Überlegungen abzulehnen ist: Es besteht kein Grund, für den technischen Beitrag computerimplementierter Erfindungen andere Voraussetzungen zu schaffen als für andere Erfindungen. Dies würde im Widerspruch zum Diskriminierungsverbot gemäss Art. 27 Abs. 1 TRIPS stehen. Ausserdem ist die von der Kommission vorgeschlagene Formulierung im Hinblick auf Art. 4 Ziff. 2 des Vorschlages missverständlich (siehe unten). Da der technische Beitrag eine anerkannte Patentierbarkeitsvoraussetzung ist, würde Art. 2 lit. b besser weggelassen.
Der bereinigte Vorschlag für Art. 2 könnte demnach wie folgt aussehen:
Artikel 2
Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt folgende Begriffsbestimmung: «Computerimplementierte Erfindung» ist eine Erfindung, zu deren Ausführung ein Computer, ein Computernetz oder eine sonstige programmierbare Vorrichtung eingesetzt wird.
Art. 3 Richtlinienvorschlag6 regelt erfreulich klar, dass computerimplementierte Erfindungen als einem Gebiet der Technik zugehörig gelten. Damit wird die Diskussion, ob computerimplementierte Erfindungen technischer Natur sind oder nicht, klar und abschliessend geregelt.
Art. 4 Ziff. 1 Richtlinienvorschlag7 verlangt von den Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass neue, erfinderische und gewerblich anwendbare computerimplementierte Erfindungen patentierbar sein sollen. Dies ist zu begrüssen, denn es handelt sich um die klassischen Erfordernisse an die Patentierbarkeit8. In Art. 4 Ziff. 2 Richtlinienvorschlag wird diese Regelung eingeschränkt durch das Erfordernis, dass die erfinderische Tätigkeit nur gegeben sein soll, wenn die Erfindung einen technischen Beitrag leistet. Diese Formulierung ist unglücklich, da sie insbesondere zusammen mit Art. 2 lit. b des Vorschlages zu Missverständnissen und zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung von computerimplementierten Erfindungen führt: Es ist unbestritten, dass zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit alle Merkmale einer Erfindung betrachtet werden müssen und in der Gesamtheit nicht naheliegend sein dürfen (man denke nur an die Kombinationserfindung oder die Aufgabenerfindung). Die erfinderische Tätigkeit kann somit z.B. im nicht naheliegenden Kombinieren von bekannten, unbekannten, technischen und nichttechnischen Merkmalen bestehen. Die vorgeschlagene Regelung kann im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Richtlinienvorschlag nur so verstanden werden, dass die erfinderische Tätigkeit einen technischen Beitrag liefern bzw. dass der technische Beitrag erfinderisch sein muss. Dies ist jedoch nicht das Ziel der Formulierung: Vielmehr soll gemäss Erläuterungen der Kommission einer computerimplementierten Erfindung, die keinen technischen Beitrag leistet, – analog den chirurgischen und therapeutischen Verfahren, denen gemäss Art. 52 Abs. 4 EPÜ die gewerbliche Anwendbarkeit abgesprochen wird – die erfinderische Tätigkeit abgesprochen werden. Die Kommission möchte also das Vorliegen eines technischen Beitrages im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit untersucht haben. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass der technische Beitrag erfinderisch sein muss. Erfinderisch kann nur der zu patentierende Gegenstand in seiner Gesamtheit sein. Die vorgeschlagene Regelung führt somit zusammen mit Art. 2 lit. b Richtlinienvorschlag dazu, dass die Anforderungen an die erfinderische Tätigkeit von computerimplementierten Erfindungen anders oder höher werden als für die übrigen Erfindungen. Die geistige Leistung, die hinter einer Computerprogrammentwicklung steht, würde somit nicht gleichbehandelt wie andere Erfindungen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu Art. 27 Abs. 1 TRIPS.
Eigentliches Ziel der Regelung ist es, computerimplementierte Erfindungen, die keinen technischen Beitrag leisten (z.B. Geschäftsmethoden), vom Patentschutz auszuschliessen. Dieses Ziel wird besser dadurch erreicht, dass man das Kind beim Namen nennt und zum Beispiel fingiert:
Artikel 4
Voraussetzungen der Patentierbarkeit
1. [unverändert]
2. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass computerimplementierte Erfindungen, die keinen technischen Beitrag leisten, als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten.
3. [siehe unten]
oder noch deutlicher und verständlicher:
Artikel 4
Voraussetzungen der Patentierbarkeit
1. [unverändert]
2. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Patente für computerimplementierte Erfindungen nur erteilt werden, falls die Erfindungen einen technischen Beitrag leisten.
3. [siehe unten]
Eine solche Formulierung würde auch nach Streichung des Art. 2 lit. b Richtlinienvorschlag das Ziel des Ausschlusses von reinen Geschäftsmethoden durch die klare Forderung eines technischen Beitrages erreichen. Sie hat den Vorteil, dass sie transparent und verständlich ist und nicht patentrechtlich unterschiedliche Voraussetzungen wie erfinderische Tätigkeit und technischer Beitrag miteinander vermischt.
Art. 4 Ziff. 3 Richtlinienvorschlag9 steht in Einklang mit der oben erwähnten Rechtsprechung des EPA, wonach bei der Beurteilung des technischen Beitrages keine Gewichtung der Merkmale vorgenommen werden soll. Die Erfindung ist vielmehr in ihrer Gesamtheit zu prüfen. Die Formulierung ist jedoch nicht sehr klar und vermischt Elemente der Neuheitsprüfung und der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit («[…] vom Stand der Technik abhebt.»). Die Deutsche Patentanwaltskammer gibt in ihrer Stellungnahme9 zu Art. 4 eine besser verständliche Formulierung an, die sinngemäss lautet:
3. Bei der Ermittlung des technischen Beitrages ist der Gegenstand des Patentanspruchs, der sowohl technische als auch nichttechnische Merkmale umfassen kann, in seiner Gesamtheit zugrunde zu legen.
Art. 5 Richtlinienvorschlag10 regelt die Form der zugelassenen Patentansprüche. Hier ist die grösste Abweichung zur Rechtsprechung des EPA festzustellen, da die sog. Computerprogrammprodukte keine Erwähnung finden. Diese Auslassung wurde von der Kommission absichtlich vorgenommen. Sie stellt vermutlich ein Nachgeben gegenüber der Open-Source Bewegung dar. Dies ist sehr bedauerlich, da computerimplementierte Erfindungen in der Regel unabhängig vom Computer, auf dem sie laufen sollen, vertrieben werden. Ferner bestehen zwischen der deutschen und englischen Version Unterschiede: Die vorgeschlagene deutsche Formulierung lässt nur zwei Möglichkeiten offen («entweder […] oder aber»), während die englische Formulierung offener ist («may be claimed as […] or»). Letzteres ist sicherlich zu begrüssen. Zusammen mit einer Aufnahme der Computerprogrammprodukte – am besten ergänzt durch die Legaldefinition «Computerprogramm abgespeichert auf einem Datenträger oder übermittelt als Signal» – in den Katalog möglicher Anspruchsformen wird eine unbeschränkte Formulierung vorgeschlagen:
Artikel 5
Form des Patentanspruchs
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass auf eine computerimplementierte Erfindung ein Erzeugnisanspruch, wenn es sich um einen programmierten Computer, ein programmiertes Computernetzwerk, eine sonstige programmierte Vorrichtung oder um ein Computerprogrammprodukt (Computerprogramm abgespeichert auf einem Datenträger oder übermittelt als Signal) handelt, oder ein Verfahrensanspruch, wenn es sich um ein Verfahren handelt, das von einem Computer, einem Computernetz oder einer sonstigen Vorrichtung durch Ausführung eines Computerprogramms verwirklicht wird, erhoben werden kann.

III. Schlussfolgerung und Ausblick
Die vorgeschlagene Richtlinie stellt durch das Weglassen der Patentierbarkeit von Computerprogrammprodukten einen Rückschritt zur Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA dar. Durch missverständliche Formulierungen besteht ferner die Gefahr, dass an computerimplementierte Erfindungen andere oder höhere Anforderungen gestellt werden als an Erfindungen aus anderen Technologien. Dies steht im Widerspruch zu Art. 27 Abs. 1 TRIPS. Wegweisender wäre es gewesen, den Ausschluss der Computerprogramme von der Patentierbarkeit ganz fallen zu lassen. Dies wurde leider bereits bei der letzten EPÜ-Revision verpasst. Die an sich begrüssenswerten Ziele, Klarstellung und Harmonisierung der Patentierbarkeitsvoraussetzungen für computerimplementierte Erfindungen, werden deshalb nicht erreicht. Es ist zu hoffen, dass das Europäische Parlament bei der Beratung des Richtlinienvorschlages im Herbst 2002 die notwendigen Korrekturen anbringen kann.



*dipl. Ing. ETH, European Patent Attorney, Leiter Intellectual Propperty ABB Ltd., Zürich
1Bulletin EU 1/2-2002, Binnenmarkt (24/26).
2Siehe Bericht von PA CH. MÜLLER in diesem Heft.
3Art. 1 EU-Richtlinienvorschlag 2002/0047 lautet: Anwendungsbereich
Diese Richtlinie legt Vorschriften für die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen fest."
4Artikel 2 EU-Richtlinienvorschlag 2002 / 0047 lautet: Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
(a) "Computerimplementierte Erfindung" ist jede Erfindung, zu deren Ausführung ein Computer, ein Computernetz oder eine sonstige programmierbare Vorrichtung eingesetzt wird und die auf den ersten Blick mindestens ein neuartiges Merkmal aufweist, das ganz oder teilweise mit einem oder mehreren Computerprogrammen realisiert wird.
(b) "Technischer Beitrag" ist ein Beitrag zum Stand der Technik auf einem Gebiet der Technik, der für eine fachkundige Person nicht nahe liegend ist.
5Z.B. T0931/95 "Pension Benefit System", ABI. EPA 2001, 441.
6Artikel 3 EU-Richtlinienvorschlag 2002/0047 lautet: "Gebiet der Technik
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine computerimplementierte Erfindung als einem Gebiet der Technik zugehörig gilt."
7Artikel 4 EU-Richtlinienvorschlag 2002 / 0047 lautet: "Voraussetzungen der Patentierbarkeit
1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine computerimplementierte Erfindung patentierbar ist, sofern sie gewerblich anwendbar und neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
2. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Voraussetzung der erfinderischen Tätigkeit nur erfüllt ist, wenn eine computerimplementierte Erfindung einen technischen Beitrag leistet.
3. Bei der Ermittlung des technischen Beitrags wird beurteilt, inwieweit der Gegenstand des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit, der sowohl technische als auch nichttechnische Merkmale umfassen kann, vom Stanmd der Technik abhebt."
8Z.B. Art. 52 Abs. 1 EPÜ.
9www.patentanwaltskammer.de/aktuell/Stellungnahme_computerimplementierte_Erfindungen.html
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Artikel 5 EU-Richtlinienvorschlag 2002 / 0047: "Form des Patentanspruchs
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass auf eine computerimplementierte Erfindung entweder ein Erzeugnisanspruch erhoben werden kann, wenn es sich um einen programmierten Computer, ein programmiertes Computernetz oder eine sonstige programmierte Vorrichtung handelt, oder aber ein Verfahrensanspruch, wenn es sich um ein Verfahren handelt, das von einem Computer, einem Computernetz oder einer sonstigen Vorrichtung durch Ausführung von Software verwirklicht wird."


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