sic! 2003 Ausgabe 5
WERNER STAUFFACHER*

Elektronische Pressespiegel und kein Ende?

Weiterführende Anmerkungen zu den Ausführungen von Prof. Dr. R. M. Hilty, sic! 3/2003, 266 ff.

In seinen Anmerkungen zum Entscheid des Zivilgerichts Basel-Stadt fragt Hilty: «Elektronische Pressespiegel: iura novit curia?» und stellt dann etwas salopp fest, dass die Schweizer Gerichte - von der Lehre kaum unterstützt - noch weitgehend im Dunkeln tappen. Allein die Sache liegt so kompliziert nicht, denn die Frage nach den erlaubten Nutzungshandlungen (oder mit anderen Worten wieweit elektronische Pressespiegel gestattet sind) ergibt sich aus Art. 19 Abs. 2 URG, wobei der Anwendungsbereich wie auch die Angemessenheit der für solche Nutzungshandlungen geschuldete Vergütung von der für den Gemeinsamen Tarif 9 (GT 9) zuständigen Eidgenössischen Schiedskommission (ESchK) zu beurteilen sind. Die entsprechenden Tarifverhandlungen laufen noch, und der Entscheid dieser Kommission kann vor das Bundesgericht weitergezogen werden, womit ein höchstrichterlicher Entscheid vorliegen würde. Die folgenden Ausführungen zeigen die Gründe auf, wieso elektronische Pressespiegel unter die gesetzliche Lizenz des Art. 19 Abs. 2 URG fallen.


Dans ses remarques concernant l'arrêt du tribunal civil de Bâle-Ville, Hilty pose la question suivante: «Revues de presse électroniques: iura novit curia?», avant de constater de manière quelque peu familière que les tribunaux suisses - guère soutenus par la doctrine - avancent encore largement à tâtons dans l'obscurité. Toutefois, l'affaire ne saurait être aussi compliquée, car la mesure des utilisations autorisées - en d'autres termes, la mesure dans laquelle les revues de presse électroniques sont autorisées - résulte de l'art. 19 al. 2 LDA, et il appartient à la Commission arbitrale fédérale (CAF), compétente pour le Tarif commun 9 (TC 9), de définir le cercle des utilisations autorisées et de vérifier le caractère équitable de la rémunération due pour de telles utilisations. Les négociations concernant ledit tarif sont encore en cours, et la décision de la Commission pourrait être portée devant le Tribunal fédéral, et dans ce cas on serait en présence d'un arrêt de la plus haute instance. On donnera ci-après les raisons pour lesquelles les revues de presse électroniques tombent sous le coup de la licence légale de l'art. 19 al. 2 LDA.

Das Gerangel um die elektronischen Pressespiegel dreht sich um die Frage, was besagter Art. 19 Abs. 2 URG genau regelt und wie weit Nutzungshandlungen von Dritten, die für zum Eigengebrauch Berechtigte tätig werden (wie z.B. Pressespiegeldienste), von der gesetzlichen Lizenz abgedeckt sind. Art. 19 Abs. 2 URG lautet: «Wer zum Eigengebrauch berechtigt ist, darf die dazu erforderlichen Werkexemplare auch durch Dritte herstellen lassen; als Dritte im Sinne dieses Absatzes gelten auch Bibliotheken, die ihren Benützern Kopiergeräte zur Verfügung stellen.» Als Eigengebrauch definiert das Gesetz neben jeder Werkverwendung im persönlichen Bereich und durch Lehrpersonen für den Unterricht in der Klasse auch «das Vervielfältigen von Werkexemplaren in Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen für die interne Information oder Dokumentation» (Art. 19 Abs. 1 lit. a bis c URG).
An dieser Stelle sei ein kurzer Exkurs angezeigt: Nutzungen geschützter Werke und Leistungen, die unter eine gesetzliche Lizenz fallen und entschädigungspflichtig sind, bedürfen eines Gemeinsamen Tarifes. Der Sinn und Zweck dieses Systems liegt darin, dass die einzelnen Berechtigten solche Nutzungen ohne vernünftigen Aufwand weder kontrollieren noch die ihnen dafür zustehenden Entschädigungen geltend machen können. Daher sollen solche Nutzungen von Gesetzes wegen erlaubt sein, wofür im Gegenzug eine Vergütung an die Berechtigten über die dafür zuständigen Verwertungsgesellschaften geschuldet ist. Seit dem letzten Jahr verhandeln die Verwertungsgesellschaften unter Federführung der ProLitteris mit den massgebenden Nutzerverbänden über den GT 9. Dieser regelt das ausschnittweise digitale Nutzen geschützter Werke und Leistungen in betriebsinternen Netzwerksystemen zur internen Information und Dokumentation. Auf einen kurzen Nenner gebracht geht es neben dem sog. klassischen Eigengebrauch in solchen Netzwerksystemen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. b (in Schulen) und lit. c URG (in Betrieben sowie in der öffentlichen Verwaltung) um die internen digitalen Pressespiegel. Ebenfalls betroffen sind die elektronischen Pressespiegeldienste, die im Rahmen von Art. 19 Abs. 2 URG für zum Eigengebrauch Berechtigte digitale Nutzungen vornehmen.
Im Zeitalter der digitalen Nutzungen geschützter Werke ist insbesondere das Pressemonitoring zu einer wichtigen Grösse geworden: Elektronische Pressespiegel- oder Clipingdienste versenden auf Anfrage Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zu ganz bestimmten Themata an ihre Kunden. Solches Verwenden geschützter Artikel fällt unter die gesetzliche Lizenz des Art. 19 Abs. 2 URG, da der Anbieter lediglich ein ausschnittweises Nutzen vornimmt und die betreffenden Artikel seinem Kunden (dem zum Eigengebrauch Berechtigten) auf dessen genau umschriebenen Auftrag hin zustellt. Unbestritten in diesem Zusammenhang ist, dass das Verwenden eines einzelnen Artikels aus einer Zeitung als ausschnittweises Nutzen zu qualifizieren ist, wohingegen die ganze Zeitung bzw. Zeitschrift als vollständiges Werkexemplar gilt.
Nun sehen insbesondere die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger das anders: Im Gegensatz zu den analogen oder «klassischen» Pressespiegeldiensten, die auf herkömmliche Art und Weise ihren Kunden Zeitungsartikel in photokopierter Form zustellen und deren Verwendungen im bereits seit 1995 in Kraft stehenden GT 8 über die ProLitteris abzugelten sind, vertreten sie die Ansicht, dass die elektronischen Pressespiegeldienste nicht unter die gesetzliche Lizenz von Art. 19 Abs. 2 URG fallen würden. Dies mit der Begründung, dass die elektronischen Pressespiegeldienste notwendigerweise Zeitungen bzw. Zeitschriften umfassend digitalisieren und so gegen das Verbot der vollständigen Nutzung geschützter Werke verstossen würden (Art. 19 Abs. 3 lit. a URG). Selbst wenn es in der Praxis kaum oder nie zutrifft, dass elektronische Pressespiegeldienste (insbesondere wenn es sich um solche handelt, die auf bestimmte Bereiche spezialisiert sind) Zeitun-gen bzw. Zeitschriften vollständig einspeichern, so ist anzumerken, dass dieser Form der Nutzung ohnehin eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung abzusprechen ist, da es um nichts anderes als vorübergehende Vervielfältigungshandlungen geht, wie auch Hilty zutreffend ausführt. In diesem Zusammenhang sei auf den viel zitierten sog. «three step test» in Art. 5 Abs. 1 der Informationsricht-linien-Direktive (IRI-Richtlinie Nr. 2001/29) hingewiesen, der solche Nutzungen im Sinne einer Ausnahme für zulässig erklärt.
Unbestritten ist - und in diesem Punkt ist Hilty vorbehaltlos zuzustimmen - dass heute die Frage nach dem Werkexemplar nicht nur auf die analoge Kopie beschränkt bleiben kann. Ebenso soll nicht allein das Vervielfältigen von Werkexemplaren, sondern auch das Weiterverbreiten von digitalen Kopien unter den Sinn und Zweck der gesetzlichen Lizenz des Art. 19 URG fallen. Daher muss die Verbreitung von Kopien innerhalb des eigenen Betriebes - in analoger oder digita-ler Form - als zulässig erklärt werden. Darüber hinaus moniert Hilty zu Recht, dass ein Abstellen auf den Privatgebrauch gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. a URG, wie es das Zivilgericht Basel-Stadt in seinem Urteil vom 19. Juni 2002 macht, sowohl unbehelflich als auch unnötig ist.
Es ist Hilty aber zu widersprechen, wenn er auszuführen scheint, dass nicht erlaubt wäre, ein betriebsinternes Pressearchiv anzulegen. Eine solche Nutzung ist nicht von der Bestimmung des Art. 19 Abs. 2 URG betroffen. Der Gesetzgeber will vielmehr in Art. 19 Abs. 1 lit. c URG gerade das ausschnittweise Nutzen geschützter Werke für die interne Information und Dokumentation - gegen eine Vergütung - erlauben, worunter auch die betriebsinternen Pressespiegeldienste fallen müssen. Abgesehen davon wäre es für jeden Berechtigten, sei er nun Urheber oder Verlag, schlichtweg nicht möglich, von solchen Nutzungen Kenntnis zu erhalten, geschweige denn die dafür geschuldeten Entschädigungen einzuziehen. Wieweit Hilty seine Aussage auf ein nicht fotografisches Einscannen mit anschliessendem internem Vertreiben bezieht und dabei auf die Umwandlung in eine für Erkennungsdienste taugliche Textdatei abstellt, ist nicht nachvollziehbar. Jedenfalls würde das an der Beurteilung eines ausschliesslich betriebsinternen Pressespiegels bzw. Pressearchives nichts ändern.
Zum Hinweis von Hilty auf Art. 5 Abs. 3 lit. c der IRI-Richtlinie ist anzumerken, dass diese Bestimmung gerade in Deutschland nicht gegen die Erweiterung des Pressespiegelprivilegs auf die elektronischen Pressespiegel, verbunden mit Vergütungsansprüchen, sprach. Zudem wird im Zuge der Umsetzung der IRI-Richtlinie in das innerstaatliche Recht die erwähnte Ausnahmebestimmung auch nicht dazu führen, dass das deutsche UrhG in diesem Punkt geändert werden muss. Nun kann immer eingewendet werden, dass eine unbesehene Umsetzung dieser Bestimmung in das schweizerische URG rechtlich nicht vollzogen werden muss, doch wäre eine grundsätzlich andersweite Behandlung der schweizerischen elektronischen Pressespiegeldienste gegenüber denjenigen im EU-Raum nicht angezeigt.
Keinesfalls hingegen darf der Anbieter eine Datenbank gewissermassen auf Vorrat betreiben, in die sich jeder Kunde einloggen kann, damit er die ihm zusagenden Artikel nach Belieben ansehen und herunterladen kann. Solche Verwendungen fallen unter das Ausschliesslichkeitsrecht des Art. 10 URG. Der zukünftige GT 9 wird genau diesen Fall nicht regeln, sodass dann die Rechte entweder beim Urheber bzw. der Urheberin, beim Verlag oder - falls sie der ProLitteris abgetreten worden sind - bei der Verwertungsgesellschaft eingeholt werden müssen. Die ProLitteris hat für die von ihr vertretenen Berechtigten die entsprechenden Verhandlungen zur Regelung der Rechte begonnen bzw. bereits mit Vertragsabschlüssen zu Ende bringen können. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Art. 19 URG im Grundsatz die drei folgenden Nutzungen im digitalen bzw. elektronischen Bereich beinhaltet, die vom zukünftigen GT 9 geregelt werden: - die Verwendungen geschützter Werke und Leistungen innerhalb von betriebsinternen Netzwerksystemen zur internen Information oder Dokumentation (Art. 19 Abs. 1 lit. b und c URG); - die Verwendungen geschützter Werke und Leistungen innerhalb von betriebsinternen, digitalen Pressespiegeln (Art. 19 Abs. 1 lit. b und c URG); - die Verwendung geschützter Werke und Leistungen durch Dritte im Rahmen für zum Eigengebrauch Berechtigte, so genannte elektronische Pressespiegeldienste (Art. 19 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 lit. b und c URG).



* Dr. iur., Vizedirektor ProLitteris, Zürich.

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