sic! 2002 Ausgabe 2
URS MAURER* / SERGIO GANSER**

Neuerungen bei der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs - auf Kosten des Telekommunikationskonsumenten?

In einem Entscheid des Bundesgerichts (BGE 126 I 50) wurde die Anordnung einer Überwachungsmassnahme des Internetverkehrs davon abhängig gemacht, ob die jeweilige Strafprozessordnung eine solche explizit vorsah oder nicht. Dies führte zu stossenden Unterschieden in den einzelnen Kantonen. Seit dem 1. Januar 2002 bildet das neue Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs die materielle Grundlage zur Anordnung einer Überwachungsmassnahme. Die gleichzeitig mit dem Gesetz erlassene Verordnung unterlässt es, die vagen Gesetzesbestimmungen über die Voraussetzungen einer Überwachung näher zu präzisieren. In der Praxis ist damit ein Wildwuchs vorgezeichnet, dies umso mehr, als der Dienst auf Bundesebene lediglich formelle Prüfungsbefugnis besitzt. Extensive Überwachungsanordnungen werden zudem dadurch begünstigt, dass die Telekommunikationsanbieter («Anbieter») sich kaum übermässigen und / oder nicht gerechtfertigten Anordnungen widersetzen können und die Entschädigungen an die Anbieter schlicht nicht kostendeckend sind. Im Jahre 2000 belief sich die Anzahl der angeordneten Telephonüberwachungen auf 2430. Diese nicht offizielle Zahl enthält jedoch keine Überwachungsmassnahmen im E-Mail- und Internetbereich. Zudem lässt sie keinen Schluss auf die Anzahl der überwachten Anschlüsse zu, weil pro Überwachungsmassnahme eine Vielzahl von Anschlüssen überprüft werden kann.

Dans l’arrêt ATF 126 I 50, le Tribunal fédéral a jugé qu’une mesure de surveillance du courrier électronique n’était admissible que si la loi de procédure pénale applicable le prévoyait de manière expresse. Il en est résulté des différences choquantes entre les cantons. Depuis le 1er janvier 2002, la nouvelle loi fédérale sur la surveillance de la correspondance par poste et télécommunication constitue la base légale permettant d’ordonner une mesure de surveillance. L’ordonnance parallèlement mise en vigueur avec la loi omet de préciser en détail les dispositions floues de la loi sur les conditions de la surveillance. En pratique, la plus grande confusion est à craindre, ce d’autant plus que le service n’a, sur le plan fédéral, qu’un pouvoir d’examen formel. De plus, des mesures de surveillance étendues seront favorisées par le fait que les fournisseurs de services de télécommunication («fournisseurs») ne peuvent pas s’opposer à des ordres excessifs ou injustifiés et que l’indemnisation consentie aux fournisseurs ne couvre tout simplement pas les frais. Dans l’année 2000 le nombre des mesures de surveillance de la télécommunication était 2430. Ce nombre inofficiel ne couvre pas les mesures de surveillance du courrier électronique (e-mail, internet). En plus, il n’est pas identique à la nombre des connexions surveillées, car chaque mesure permet de surveiller plusieurs lignes.


I.   Voraussetzungen für die Durchführung einer Überwachungsmassnahme
  
  1. Rechtslage bis 31. Dezember 2001
     2. Geltende Rechtslage
II.  Ablauf bei einer Anordnung
III. Auskünfte über Fernmeldeanschlüsse (z. B. im Internetbereich)
IV. Pflichten der Anbieter
V.  Gebühren und Entschädigungen

I. Voraussetzungen für die Durchführung einer Überwachungsmassnahme

Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist ein in Art. 13 BV verankertes Grundrecht, welches die Privatsphäre desjenigen schützt, welcher einen Fernmeldedienst in Anspruch nimmt. Das Fernmeldegesetz (SR 784.10, FMG) regelt die fernmeldetechnische Übertragung von Informationen, welche nicht als Radio- oder Fernsehprogramme gelten (Art. 2 FMG). In Art. 43 FMG werden die mit fernmeldetechnischen Aufgaben betrauten Personen zur Geheimhaltung verpflichtet. Dies beinhaltet das Verbot der Weitergabe von fernmeldetechnischen Daten von Teilnehmern an Dritte. Ein Verstoss gegen das Fernmeldegeheimnis ist in Art. 321ter Schweizerisches Strafgesetzbuch (SR 311.0, StGB) unter Strafe gestellt. Trotz dem Grundsatz der Geheimhaltung besteht unter gewissen Voraussetzungen eine Auskunftspflicht. Unter welchen Voraussetzungen dies im Zusammenhang mit einer Überwachungsanordnung der Fall ist, gilt es im Folgenden aufzuzeigen. Zum besseren Vergleich wird hierzu zuerst auf die Rechtslage wie sie sich bis am 31. Dezember 2001 darstellte und danach auf das geltende Recht eingegangen.

1. Rechtslage bis 31. Dezember 2001
In aArt. 44 FMG wurde ein Anbieter, im Gegensatz zur Geheimhaltungspflicht, angehalten, zur Verfolgung eines Vergehens oder Verbrechens den zuständigen Justiz- und Polizeibehörden auf Ersuchen Auskunft zu geben. Gemäss aArt. 179octies StGB war eine amtliche Überwachung straflos, wenn unverzüglich die Genehmigung des zuständigen Richters eingeholt wurde und die Überwachung der Verfolgung von Vergehen und Verbrechen diente, deren Schwere und Eigenart den Eingriff rechtfertigten. Die materiellen Grundlagen zur Anordnung einer Überwachungsmassnahme ergaben sich jedoch nicht aus aArt. 44 FMG, sondern gemäss einem Entscheid des Bundesgerichts aus den jeweiligen Strafprozessordnungen (BGE 126 I 50). Lag eine durch die zuständige richterliche Behörde genehmigte Anordnung eines Richters vor, und sah die entsprechende Strafprozessordnung eine Überwachungsmassnahme vor, war der Anbieter zur Auskunftserteilung gemäss aArt. 44 FMG verpflichtet. Auf Grund der vereinzelt doch älteren Strafprozessordnungen war die Voraussetzung der materiellen Grundlage bei der Überwachung des E-Mail Verkehrs und der Internetnutzung nicht in allen Kantonen gegeben. Inwieweit sich die anordnenden Behörden an diese Rechtslage gehalten haben, kann offen bleiben, weil nunmehr seit dem 1. Januar 2002 entsprechende gesetzliche Grundlagen in Kraft sind.

2. Geltende Rechtslage
Am 1. Januar 2002 ist das neue Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) in Kraft getreten. Mit der Einführung des neuen Gesetzes wurde der Art. 44 FMG dahingehend geändert, dass der neue Wortlaut nur auf das BÜPF verweist, welches anstelle der Strafprozessordnungen der Kantone und des Bundes die Grundlage für die Anordnung einer Überwachungsmassnahme gesamtschweizerisch einheitlich regelt. Dabei müssen folgende Voraussetzungen für die Anordnung einer Überwachungsmassnahme gegeben sein: – Es muss ein dringender Tatverdacht gegen die zu überwachende Person vorliegen (Art. 3 Abs. 1 lit. a BÜPF). – Die Schwere der strafbaren Handlung muss eine Überwachung rechtfertigen (Art. 3 Abs. 1 lit. b BÜPF). – Die Subsidiarität der Überwachungsmassnahme muss gegeben sein (Art. 3 Abs. 1 lit. c BÜPF). – Es muss sich um ein Verbrechen oder Vergehen handeln, welches in einem abschliessenden Katalog aufgezählt wird (Art. 3 Abs. 2 BÜPF). Das Vorhandensein der ersten drei Voraussetzungen liegt im Ermessen der jeweiligen Genehmigungsbehörde. Der Verordnungsgeber hat es unterlassen, diese vagen Gesetzesbestimmungen weiter zu präzisieren. Es bleibt zu befürchten, dass auf kantonaler und Bundesebene weiterhin ein Wildwuchs in der Handhabung von Anordnungen zur Überwachung herrschen wird. Dies umso mehr, als der speziellen Bundesbehörde keine materielle Prüfungsbefugnis zusteht (siehe sogleich).

II. Ablauf bei einer Anordnung
Für den Ablauf kann zusätzlich auf den Anhang verwiesen werden. Die anordnende Behörde (die Strafuntersuchungsbehörde gemäss Bundesrecht oder kantonalem Recht, z.B. Bundesanwalt, Staatsanwalt, Untersuchungsrichter, Amtstatthalter etc.), stellt bei der zuständigen Genehmigungsbehörde (die zuständige richterliche Behörde gemäss Bundesrecht oder kantonalem Recht) ein Gesuch auf Genehmigung der Überwachungsmassnahme. Mit der Anordnung der Überwachungsmassnahme gelangt die anordnende Behörde weiter an den vom Bundesrat eingerichteten Dienst für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs. Die Genehmigungsbehörde teilt dem Dienst ihren Entscheid über die Bewilligung der Überwachungsanordnung mit. Der Dienst prüft formell, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung gegeben sind. D.h. die Prüfung beschränkt sich darauf, ob die anordnende Behörde legitimiert ist und ob ein Verbrechen oder Vergehen gemäss BÜPF vorliegt. Sind diese Voraussetzungen gegeben, richtet der Dienst einen Auftrag an den betroffenen Anbieter. Der Auftrag enthält die zu liefernden Daten, sowie technische und organisatorische Massnahmen. Der Dienst fungiert als Vermittler zwischen der anordnenden Behörde und den Anbietern. Dabei ist der Dienst lediglich ermächtigt, diejenigen Daten zu verlangen, welche in einer Überwachungsanordnung festgehalten sind. Die Daten werden an die anordnende Behörde weitergegeben.

III. Auskünfte über Fernmeldeanschlüsse (z. B. im Internetbereich)
Gemäss Art. 14 Abs. 4 BÜPF ist ein Internetanbieter verpflichtet, alle Angaben zu machen, die eine Identifikation des Urhebers oder der Urheberin ermöglichen. Art. 27 der Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF) enthält die genaueren Bestimmungen betreffend den Daten, welche auf Anfrage des Dienstes durch den zuständigen Internetanbieter zu melden sind. Dabei handelt es sich, je nach Art des Internetteilnehmers, um Folgende:
– «Bei fest zugeteilten IP-Adressen: Die Art des Anschlusses und das Datum der Inbetriebsetzung, den Namen, die Adresse und, sofern bekannt, den Beruf der Teilnehmerin oder des Teilnehmers, sowie weitere IP-Adresen, die der Internetanbieter dieser zugeteilt hat» (Art. 27 Abs. 1 lit. a VÜPF). – «Bei EDV-Systemen: Sofern verfügbar, zusätzlich die Domainnamen und weitere Adressierungselemente, unter denen diese dem Internetanbieter bekannt sind» (Art. 27 Abs. 1 lit. b VÜPF). – «Bei E-Mail Adressen, sofern sie auf zur Nutzung durch Kunden bestimmten E-Mail Einrichtungen der Internetanbieter eingerichtet sind: Soweit diese Daten bekannt sind, den Namen, die Adresse und den Beruf der Teilnehmerin oder des Teilnehmers» (Art. 27 Abs. 1 lit. c VÜPF).

IV. Pflichten der Anbieter
Art. 15 BÜPF regelt allgemein die Pflichten für Anbieter von Fernmeldediensten. Auf Verlangen des Dienstes müssen die Anbieter den Fernmeldeverkehr der überwachten Person, die Teilnehmeridentifikation und die Verkehrs- und Rechnungsdaten liefern sowie die zur Überwachung notwendigen Informationen erteilen. Dies hat so rasch als möglich zu erfolgen und der Fernmeldeverkehr sollte, soweit mögli
ch, in Echtzeit übermittelt werden. Sind die Daten mit einer vom Anbieter angebrachten Verschlüsselung versehen, müssen diese entfernt werden. Die für eine Teilnehmeridentifikation benötigten Daten, sowie die Verkehrs- und Rechnungsdaten müssen durch die Anbieter während 6 Monaten aufbewahrt werden, damit eine nachträgliche Identifikation möglich ist. Es empfiehlt sich, dass die Anbieter, soweit dies technisch und rechtlich möglich ist, diese Daten dann auch wirklich nach 6 Monaten vernichten. Anderenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Anbieter mit Überwachungsanordungen konfrontiert werden, welche auch weiter zurückliegen und damit zusätzliche ungedeckte Kosten entstehen. Art. 26 VÜPF enthält genauere Bestimmungen betreffend den Pflichten von Internetanbietern. Darin werden diese unter anderem verpflichtet, die Überwachung des Fernmeldeverkehrs von der Aufnahme des Kundenbetriebes an sicherzustellen. Je nach Art der durch den Anbieter angebotenen Dienstleistungen, werden durch den Dienst verschiedene Überwachungstypen angeordnet. Danach entscheidet sich, welche Daten durch den Anbieter an den Dienst abgegeben werden müssen. Die verschiedenen Überwachungstypen werden in Art. 24 VÜPF aufgelistet, wobei es sich vor allem um folgende Daten handelt: – Echtzeit Überwachung: Das Datum und die Zeit des Empfangs auf der Mailbox; den Inhalt; die Kopf-Informationen; die Anhänge; das Datum und die Zeit des Empfanges auf der Mailbox; die Umschlag-Informationen gemäss SMTP-Protokoll; die IP-Adresse der sendenden E-Mail Einrichtung; das Datum und die Zeit des Abrufes auf der Mailbox; die IP-Adresse der Quelle; das verwendete Protokoll des Abrufes; das Datum und die Zeit des Versandes; die IP-Adresse des Senders oder sendenden und empfangenden E-Mail Einrichtung.F – Rückwirkende Überwachung: Die Art des Anschlusses oder der Verbindung; sofern der Zeitpunkt der fraglichen Verbindung hinreichend genau bekannt ist, die verwendeten Anmeldedaten (Login); sofern nicht unterdrückt, die Adressierungselemente des Ursprungs; soweit diese Daten bekannt sind, den Namen, die Adresse und den Beruf des Teilnehmers; das Datum und die Zeit des Beginns und des Endes der Verbindung; das Datum und die Zeit des Empfanges beim Internetanbieter; die IP-Adresse des Senders oder der sendenden und empfangenden E-Mail Einrichtung.

V. Gebühren und Entschädigungen
Wie aus den Ausführungen hervorgeht, muss ein Anbieter bereit sein, auf Anordnung des Dienstes eine Überwachung durchführen zu können. Um dieser Pflicht unmittelbar nachzukommen, müssen die technischen Hilfsmittel, welche eine solche Überwachung erfordern, bereits von Beginn an betriebsbereit sein. Die damit verbundenen Aufwendungen zur Einrichtung der notwendigen Infrastruktur gehen zu Lasten der Anbieter und werden nicht entschädigt. Für die jeweiligen Aufwendungen einer konkreten Überwachung erhalten die Anbieter gemäss Art. 16 BÜPF eine «angemessene Entschädigung». Diese ergibt sich aus einem Gebührenkatalog im Anhang zum VÜPF, welcher pauschale Beträge für die einzelnen Dienstleistungen vorsieht. Die Kosten, welche auf Grund des Aufwandes von Arbeit und Infrastruktur durch eine konkrete Überwachung anfallen, dürften zu einem grossen Teil dem jeweilig betroffenen Anbieter erwachsen. Die Höhe der in der Verordnung geregelten pauschalen Entschädigung, welche ein Anbieter für seine Dienstleistungen erhält, ist zu knapp bemessen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob es gerechtfertigt ist, die Kosten, die auf Grund einer durch die Behörden angeordneten Überwachungsmassnahme anfallen, zu einem Teil einem Dritten aufzuerlegen. Dieser Dritte wird sie dann an seine Kunden überwälzen müssen. So hat der unbeteiligte Telekommunikationskonsument schliesslich die ungedeckten Kosten zu tragen. Der Verursacher – die anordnende Behörde – hat nicht die effektiven Kosten zu bezahlen und zwar unabhängig davon, ob die Anordnung sich als gerechtfertigt herausstellt oder nicht. Zusammen mit den sehr vagen Voraussetzungsbestimmungen lädt die neue Regelung geradezu zu einer extensiven und missbräuchlichen Anwendung von Überwachungsmassnahmen ein. Es ist zu bedauern, dass man vom guten Ansatz des Verursacherprinzips, wie es in der aufgehobenen Verordnung über den Dienst für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs vorgesehen war, abgekommen ist. Art. 10 Abs. 4 der erwähnten Verordnung sah vor, für gewisse Dienstleistungen des Dienstes, die Gebühren in einer Übergangsfrist von drei Jahren soweit anzupassen, dass damit Kostendeckung erreicht werden sollte. Oder hat der Verordnungsgeber etwa die Entschädigungshöhe für den Bundesdienst in der neuen Verordnung kostendeckend festgelegt und nur den unbeteiligten Telekommunikationskonsumenten zu einer unfreiwilligen Subventionierung von Überwachungsmassnahmen herangezogen?

Anhang: Ablauf für die Durchführung einer Überwachungsmassnahme (ab 1. Januar 2002) Siehe sic! 02/2001, 132.



*  Rechtsanwalt, Zürich/Baar.
** lic. iur., Zürich/Baar.

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