sic! 2002 Ausgabe 3
ROLAND KNAAK*

Die absoluten Eintragungshindernisse im Europäischen Markenrecht. Zu den Urteilen "Baby-dry" und "Bravo" des Europäischen Gerichtshofs

Der Europäische Gerichtshof präzisiert zunehmend das Europäische Markenrecht. Seine beiden Grundsatzurteile in den Sachen "Baby-dry" und "Bravo" zwingen zu einer äusserst restriktiven Anwendung der absoluten Eintragungshindernisse für ausschliesslich beschreibende Zeichen und für verkehrsübliche Zeichen. Ein Freihaltebedürfnis ist nicht zu berücksichtigen. Die Urteile dienen den Zielen des Europäischen Markenrechts, ihre Auslegungsgrundsätze eignen sich aber nicht ohne weiteres zur Übernahme im Schweizerischen Recht.

La Cour européenne de justice précise petit à petit les contours du droit européen des marques. Ses deux arrêts de principe rendus dans les causes "Baby-Dry" et "Bravo" imposent une application très restrictive des motifs absolus de refus d'enregistrement pour les signes exclusivement descriptifs et pour les signes banals. A cet égard, le besoin qu'un signe reste à disposition de tous n'est pas pris en compte. Ces décisions servent les objectifs du droit européen des marques, mais les principes d'interprétation qui y sont définis ne doivent pas nécessairement être transposés en droit suisse.

I.     Die gesetzlichen Eintragungshindernisse
II.    Zweck der gesetzlichen Eintragungshindernisse
III.   Keine Berücksichtigung eines Freihaltebedürfnisses
IV.  Auslegungsmassstab für ausschliesslich beschreibende Zeichen
V.   Auslegungsmassstab für verkehrsüblich gewordene Zeichen
VI.  Stellungnahme
      
1. Förderung des Markenschutzes als binnenmarktpolitisches Ziel
       2. Abgrenzung zum Chiemsee-Urteil
       3. Übernahme der gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsregeln im schweizerischen Recht

Das Markenrecht der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedsstaaten befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die Markenrichtlinie vom 21. Dezember 1988, die alle Mitgliedsstaaten in ihr nationales Recht umgesetzt haben, und die Gemeinschaftsmarkenverordnung vom 20. Dezember 1993, die die Rechtsgrundlage für das supranationale System des Gemeinschaftsmarke bildet, haben eine europäische Markenrechtsordnung geschaffen, für deren Auslegung der Europäische Gerichtshof zuständig ist. Im Falle der Gemeinschaftsmarkenverordnung hat der Europäische Gerichtshof darüber hinaus eine Entscheidungskompetenz. Von ihr macht er im «Baby-dry»-Urteil Gebrauch. Mit diesem Urteil vom 20. September 20011 und dem zwei Wochen später verkündeten «Bravo»-Urteil2, das auf eine Vorlage des deutschen Bundespatentgerichts3 zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 lit. d der Markenrichtlinie ergangen ist, gibt der Europäische Gerichtshof erstmals zu erkennen, wie die absoluten Eintragungshindernisse für ausschliesslich beschreibende Zeichen und für sprachüblich oder verkehrsüblich gewordene Zeichen im Europäischen Markenrecht auszulegen und anzuwenden sind. Gegenstand des «Baby-dry»-Urteils war die Anmeldung des Wortzeichens «Baby-dry» als Gemeinschaftsmarke für Wegwerfwindeln. Im «Bravo»-Verfahren ging es um die Anmeldung des Wortzeichens «Bravo» für Schreibgeräte.

I. Die gesetzlichen Eintragungshindernisse
Nach der Markenrichtlinie und nach der Gemeinschaftsmarkenverordnung sind Marken von der Eintragung ausgeschlossen,
– die keine Unterscheidungskraft haben (Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL, Art. 7 Abs.1 lit. b GMV) – die ausschliesslich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können (Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL, Art. 7 Abs. 1 lit. c GMV) oder – die ausschliesslich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen oder ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich sind (Art. 3 Abs. 1 lit. d MarkenRL). Die entsprechende Vorschrift in der Gemeinschaftsmarkenverordnung, Art. 7 Abs. 1 lit. d, enthält in ihrer deutschen Fassung den präzisierenden Zusatz, dass die Zeichen oder Angaben zur Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen üblich geworden sein müssen. In den anderen offiziellen Sprachfassungen findet sich dieser Zusatz nicht.
Im schweizerischen Markenrecht werden diese Schutzausschliessungsgründe in Art. 2 lit. a MSchG unter dem Oberbegriff des Gemeingutes zusammengefasst.

II. Zweck der gesetzlichen Eintragungshindernisse
Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs liegt allen diesen Eintragungshindernissen der gemeinsame Zweck zugrunde, solchen Zeichen keinen Markenschutz zukommen zu lassen, die nicht geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Marken – so hebt der Europäische Gerichtshof hervor – haben in einem System unverfälschten Wettbewerbs, das der EG-Vertrag schaffen will, die Funktion, Waren oder Dienstleistungen bzw. das sie vertreibende Unternehmen zu identifizieren4. Die Eintragungshindernisse seien im Lichte dieser Hauptfunktion der Marke auszulegen5. Ein Zeichen kann deshalb nur dann von der Eintragung ausgeschlossen werden, wenn es nicht geeignet ist, die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen ihrer Herkunft nach zu unterscheiden und das sie vertreibende Unternehmen zu identifizieren.

III. Keine Berücksichtigung eines Freihaltebedürfnisses
Mit diesen Ausführungen macht der Europäische Gerichtshof deutlich, dass weitergehende Erwägungen eine Schutzversagung grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Die Gefahr, dass durch die Eintragung eines Zeichens als Marke der Verkehr in seiner freien Verwendung behindert werden könnte, ist kein Grund, ein Zeichen vom Markenschutz auszuschliessen. Der Europäische Gerichtshof lehnt damit, ohne dies ausdrücklich anzusprechen, das im deutschen Markenrecht entwickelte und anerkannte Konzept des Freihaltebedürfnisses ab. Das Recht der Mitbewerber, beschreibende Angaben frei verwenden zu können, sieht er als Aufgabe der Schrankenbestimmung des Markenschutzes. Im «Baby-dry»-Urteil verweist er ausdrücklich auf Art. 12 GMV, wonach die Marke ihrem Inhaber nicht das Recht gewährt, «einem Dritten zu verbieten, Angaben über die Art, die Beschaffenheit, die Menge, die Bestimmung, den Wert, die geographische Herkunft oder die Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder über andere Merkmale der Ware oder Dienstleistung im geschäftlichen Verkehr zu benutzen, sofern die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht»6. Betrachtet man diese Bestimmung zusammen mit dem gesetzlichen Eintragungsverbot für ausschliesslich beschreibende Zeichen, so zeigt sich nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs, dass Zweck dieses Eintragungshindernisses die Verhinderung eines Markenschutzes für Zeichen sei, die keine Produktidentifizierungsfunktion erfüllen. Einen darüber hinaus gehenden Zweck erfüllt Art. 7 Abs. 1 lit. c GMV bzw. Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL nicht. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, was in den Schlussanträgen des «Baby-dry»-Verfahrens gesagt wurde. Generalanwalt Jacobs war bei seinen allgemeinen Ausführungen zum Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 lit. c GMV auf den Schutzversagungsgrund gemäss Art. 6quinquies B Nr. 2 PVÜ eingegangen und hatte dazu Folgendes erklärt: «Es mag eine der Absichten der Verfasser der Pariser Verbandsübereinkunft gewesen sein, es bestimmten Ländern, nach deren Rechtsvorschriften eine Marke ein Monopol zur Benutzung begründete und nach deren Auffassung bestimmte geläufige Begriffe einem solchen Monopol entzogen bleiben mussten, zu erlauben, anderenorts eingetragenen Marken, die aus solchen Begriffen bestanden, den Schutz zu versagen. Für Angaben, die die Merkmale von Waren oder Dientleistungen betreffen, wird diesem Erfordernis jedoch durch Art. 12 Buchst. b GMV Genüge getan, der die Wirkungen einer Gemeinschaftsmarke beschränkt und gewährleistet, dass die Verwendung solcher Angaben – zu beschreibenden oder informativen Zwecken und nicht zur Kennzeichnung durch eine Marke – vom Markeninhaber nicht untersagt werden kann […] Vor diesem Hintergrund erscheint es besser, den Zweck des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c GMV nicht darin zu erblicken, jeder Monopolisierung gewöhnlicher, beschreibender Ausdrücke vorzubeugen, sondern darin, die Eintragung beschreibender Marken zu vermeiden, für die kein Schutz gewährt werden könnte. Wenn dies heisst, dass die gleiche Formulierung in anderem Sinne ausgelegt wird als etwa in der Pariser Verbandsübereinkunft, so deshalb, weil sie in einem unterschiedlichen Kontext steht.7» Mit seinem Urteil vom 20. September 2001 schliesst sich der Europäische Gerichtshof, ohne sich mit der PVÜ-Vorschrift zu befassen, dieser Auffassung und Interpretation des Art. 7 Abs. 1 lit. c GMV an. Der vom Generalanwalt angesprochene Monopolgedanke, der in Deutschland noch in jüngster Zeit bei der Prüfung absoluter Eintragungshindernisse betont worden ist8, wird mit keinem Wort aufgegriffen, sondern lediglich bei der Wiedergabe des Vorbringens der Anmelderin erwähnt, die von einer überholten Konzeption gesprochen und erklärt hatte, dass nach der modernen markenrechtlichen Konzeption jedes monopolartige Recht an den eine Marke bildenden Zeichen ausgeschlossen sei.

IV. Auslegungsmassstab für ausschliesslich beschreibende Zeichen
Ausgehend von diesen allgemeinen Erwägungen gelangt der Europäische Gerichtshof im «Baby-dry»-Urteil zur denkbar engsten Auslegung des Eintragungshindernisses für beschreibende Zeichen. Unter Art. 7 Abs. 1 lit. c GMV fallen nur solche Zeichen und Angaben, «die im normalen Sprachgebrauch nach dem Verständnis des Verbrauchers die angemeldeten Waren entweder unmittelbar oder durch Hinweis auf eines ihrer wesentlichen Merkmale bezeichnen können»9. Die Zeichen müssen ausserdem als Ganzes der üblichen Art und Weise entsprechen, die fraglichen Waren oder eines ihrer wesentlichen Merkmale zu bezeichnen. Auslegungsmassstab ist danach nicht nur, ob der Durchschnittsverbraucher nach seinem Sprachverständnis in dem angemeldeten Zeichen einen Hinweis auf die angemeldeten Waren oder eines ihrer wesentlichen Merkmale sieht, sondern es kommt ferner darauf an, dass das Zeichen tatsächlich eine sprachübliche beschreibende Bezeichnung für die jeweiligen Waren oder eines ihrer Merkmale ist. Wörtlich heisst es: «Jede erkennbare Abweichung in der Formulierung einer angemeldeten Wortverbindung von der Ausdrucksweise, die im üblichen Sprachgebrauch der betroffenen Verbraucherkreise für die Bezeichnung der Ware oder Dienstleistung oder ihrer wesentlichen Merkmale verwendet wird, ist geeignet, einer Wortverbindung die für ihre Eintragung als Marke erforderliche Unterscheidungskraft zu verleihen»10. Nur das, was bereits als Sachangabe sprachüblich ist, kann also vom Markenschutz als beschreibendes Zeichen ausgeschlossen werden. Auf eine Prognose, was einmal sprachüblich werden könnte, kann eine Schutzversagung nicht gestützt werden11. Den Worten «dienen können» im Tatbestand des Art. 7 Abs. 1 lit. c GMV und Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL wird damit ihre potenzielle Wirkung bei der Prüfung des Eintragungshindernisses für beschreibende Zeichen genommen. Anzulegen ist ein objektiver Massstab, der weder Spekulationen über künftige Sprachgebräuche zulässt noch es erlaubt, allein auf das Sprachverständnis oder Verkehrsverständnis abzustellen. Für das Zeichen «Baby-dry» als Marke für Windeln folgt daraus, dass eine Schutzversagung nicht allein damit begründet werden kann, das Zeichen weise eindeutig auf die Funktion hin, die diese Waren erfüllen sollen. Da das Zeichen nach den Worten des Europäischen Gerichtshofs kein bekannter Ausdruck der englischen Sprache ist, um Windeln zu bezeichnen oder ihre wesentlichen Merkmale wiederzugeben, sondern vielmehr das Ergebnis einer lexikalischen Erfindung, könne es die erforderliche markenmässige Unterscheidungsfunktion erfüllen. Es durfte deshalb nicht als beschreibendes Zeichen von der Eintragung ausgeschlossen werden12.

V. Auslegungsmassstab für verkehrsüblich gewordene Zeichen
Im «Bravo»-Urteil ging es um die Frage, ob das Wortzeichen «Bravo» als Marke für Schreibgeräte unter das Eintragungshindernis gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. d MarkenRL für Zeichen fällt, die im allgemei- nen Sprachgebrauch oder in den redlichen oder ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich sind. Ausgehend von den oben zusammengefassten, allgemeinen Grundsätzen stellt der Europäische Gerichtshof zunächst klar, dass auch dieses Eintragungshindernis entgegen seinem Wortlaut, der keinen Zusammenhang zu den Waren oder Dienstleistungen herstellt, im Hinblick auf die konkret angemeldeten Waren oder Dienstleistungen zu beurteilen ist13. Es kommt also darauf an, ob das Zeichen «Bravo» zur Bezeichnung von Schreibgeräten, für die es als Marke in Deutschland angemeldet worden war, üblich im Sinne dieser Vorschrift geworden ist14. Aus die- ser Feststellung folgt zugleich, dass Werbeschlagworte, Qualitätshinweise oder allgemeine Kaufappelle nicht bereits als solche unter das Eintragungsverbot für sprachüblich oder verkehrsüblich gewordene Zeichen fallen können15. Der Europäische Gerichtshof stellt sodann klar, dass die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 lit. d MarkenRL nur voraussetzt, dass das Zeichen oder die Angabe, aus der die Marke ausschliesslich besteht, zur Bezeichnung der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen üblich geworden ist. Es sei ohne Bedeutung, ob damit Eigenschaften oder Merkmale dieser Waren oder Dienstleistungen beschrieben werden. Wörtlich heisst es: «Auszugehen ist davon, dass sich zwar die Anwendungsbereiche von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie offensichtlich überschneiden, dass aber die Marken, auf die sich die zuletzt genannte Vorschrift bezieht, nicht wegen ihrer beschreibenden Natur von der Eintragung ausgeschlossen sind, sondern wegen der üblichen Benutzung in den Verkehrskreisen, in denen die Waren und Dienstleistungen, für die diese Marken angemeldet wurden, gehandelt werden. Um Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie praktische Wirksamkeit zu verleihen, ist daher die Geltung dieser Vorschrift, um deren Auslegung der Gerichtshof ersucht wird, nicht auf Marken zu beschränken, die die Eigenschaften oder Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, auf die sie sich beziehen, beschreiben»16. Mit diesen Worten grenzt der Europäische Gerichtshof die Anwendungsbereiche der Eintragungsverbote für beschreibende Zeichen und für sprachübliche oder verkehrsüblich gewordene Zeichen voneinander ab. Unter Art. 3 Abs. 1 lit. c fallen Zeichen, die im Sinne der Baby-dry-Entscheidung beschreibend sind; Art. 3 Abs. 1 lit. d erfasst Zeichen, die, ohne dass es auf ihren beschreibenden Sinngehalt ankommt, zur Bezeichnung der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen üblich geworden sind. Der Europäische Gerichtshof erklärt schliesslich, dass für die Feststellung, ob ein Zeichen sprach- oder verkehrsüblich geworden ist, dessen Verwendung als Werbeschlagwort oder Qualitätshinweis für die angemeldeten Waren nicht genügt. Verwendung bedeutet noch nicht Verkehrsüblichkeit. Die Voraussetzung, dass das Zeichen im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten zur Bezeichnung der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen üblich geworden ist, ist wörtlich zu nehmen und setzt entsprechende tatsächliche Feststellungen voraus. Im Falle einer nationalen Markenanmeldung, die nach den Grundsätzen der Markenrichtlinie zu prüfen ist, sind die entsprechenden Feststellungen Sache der nationalen Behörde17. Ob das Zeichen «Bravo» für Schreibgeräte im Sinne dieser Auslegungsregeln sprach- oder verkehrsüblich geworden ist, musste und konnte der Europäische Gerichts-hof im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG nicht entscheiden. Nach den Feststellungen des Bundespatentgerichts im Vorlagebeschluss18 spricht aber einiges dafür, dass es nicht unter das Eintragungsverbot für sprach- oder verkehrsübliche Zeichen fällt19. Denn eine konkrete Verwendung des Wortes «Bravo» als Werbeschlagwort für Schreibgeräte konnte im Verfahren nicht festgestellt werden und es fehlen auch sonstige Hinweise, die auf eine Verkehrsüblichkeit schliessen lassen.

VI. Stellungnahme
Beide Urteile des Europäischen Gerichtshofs stimmen in ihrer betont schutzfreundlichen Auslegung der absoluten Eintragungshindernisse überein. Der Zugang zum Markenschutz wird im Interesse der Anmelder weit geöffnet. Die Interessen der Wettbewerber werden den Schrankenbestimmungen zugewiesen.

1. Förderung des Markenschutzes als binnenmarktpolitisches Ziel
Diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entspricht einer Zielsetzung, die die Arbeiten am europäischen Markenrecht von Anfang an bestimmt hat. Mit dem europäischen Markenrecht sollte der Markenschutz, der als wichtiger Integrationsfaktor angesehen wurde, gefördert werden20. Diese Förderung des Markenschutzes ist zu einem binnenmarktpolitischen Ziel geworden, das inzwischen auch die Auslegung des europäischen Markenrechts beherrscht. Der Markenschutz soll dem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr dienen, einem der Hauptziele der Gemeinschaft. Dies gilt besonders für die Gemeinschaftsmarke als supranationales gemeinschaftsweites Schutzinstrument, prinzipiell aber auch für nationale Marken in einer harmonisierten europäischen Markenrechtsordnung. Produkte, die unter dem Dach eines Markenschutzes vertrieben werden können, sind weniger rechtlichen Hindernissen ausgesetzt als Produkte, die markenrechtlich nicht geschützt sind. Waren oder Dienstleistungen, die unter Gemeinschaftsmarkenschutz stehen, können grundsätzlich gemeinschaftsweit vermarktet werden. Ihnen kann allenfalls eine ältere Gemeinschaftsmarke oder ein älteres nationales Recht entgegengesetzt werden. Den Interessen der Wettbewerber soll im europäischen Markenrecht durch die Vorschriften zu den Schranken des Markenschutzes Rechnung getragen werden. Generalanwalt Jacobs deutet dies in seinen Schlussanträgen an, wenn er davon spricht, dass die Verwendung beschreibender Angaben zu beschreibenden oder informativen Zwecken vom Markeninhaber nicht untersagt werden kann21. Eine Verwendung zur Kennzeichnung wie eine Marke ist dagegen nach den allgemeinen Bestimmungen zum Schutz einer Marke vor Verwechslungsgefahr zu beurteilen. Dazu hat der Europäische Gerichtshof bereits in früheren Urteilen Auslegungsgrundsätze entwickelt und erklärt, dass Marken mit geringer Kennzeichnungskraft nur einen geringen Schutzumfang haben22 und dass bei der Bestimmung der Kennzeichnungskraft einer Marke unter anderem die Eigenschaften zu berücksichtigen sind, die eine Marke von Haus aus besitzt, einschliesslich des Umstandes, ob sie beschreibende Elemente in Bezug auf die Waren oder Dienstleistungen aufweist, für die sie eingetragen ist23. Solche beschreibenden Elemente reduzieren die Kennzeichnungskraft und damit den Schutzumfang. Eng bemessene Schutzbereiche liegen aber eher im integrationspolitischen Interesse als breite Schutzzonen, die Hindernisse und Barrieren für Konkurrenten bilden können. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs führt – so scheint es – zu einem europäischen Markenschutz, der die Absatzmöglichkeiten von Markenprodukten in der Gemeinschaft fördern, gleichzeitig aber konkurrierende Produkte möglichst wenig behindern soll.

2. Abgrenzung zum Chiemsee-Urteil
Der Europäische Gerichtshof unterlässt in seinem «Baby-dry»-Urteil jeden Hinweis auf sein «Chiemsee»-Urteil24, in dem er sich bereits mit dem Eintragungshindernis für ausschliesslich beschreibende Zeichen nach Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL befasst hatte. Dort hatte er das Schutzhindernis für ausschliesslich beschreibende geographische Angaben gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL weit ausgelegt und festgestellt, dass unter dieses Eintragungshindernis auch solche geographischen Bezeichnungen fallen, die von den betroffenen Unternehmen als Herkunftsangabe für die betreffende Warengruppe noch nicht verwendet werden, aber zukünftig verwendet werden können25. Die Bezeichnung «Chiemsee» als Zeichen für Textilien eines in der Chiemsee-Region ansässigen Unternehmens konnte deshalb unabhängig davon vom Markenschutz ausgeschlossen werden, ob sich dort bereits eine Textilindustrie angesiedelt hatte. Die Diskrepanz zur Auslegung des Eintragungshindernisses für sonstige beschreibende Angaben im «Baby-dry»-Urteil ist nicht zu übersehen. Sie wird noch grösser, wenn man die Begründung des «Chiemsee»-Urteils betrachtet. Im «Chiemsee»-Urteil hebt der Europäische Gerichtshof als Zweck des Eintragungshindernisses für beschreibende Zeichen gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL das Allgemeininteresse hervor, solche Zeichen frei verwenden zu können26. Namentlich «an der Freihaltung von geographischen Bezeichnungen» bestehe ein Allgemeininteresse27. Der Europäische Gerichtshof erklärt im «Chiemsee»-Urteil ferner, dass die Schrankenbestimmung des Art. 6 Abs. 1 lit. b MarkenRL, die dem im «Baby-dry»-Urteil angesprochenen Art. 12 lit. b GMV entspricht, auf die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL keinen ausschlaggebenden Einfluss habe. All dies scheint im Widerspruch zu den Ausführungen im «Baby-dry»-Urteil zu stehen. In Wirklichkeit wird damit aber klargestellt, dass die Auslegungsregeln im «Chiemsee»-Urteil nur für den Sonderfall der geographischen Angaben gelten. Die übrigen beschreibenden Zeichen sind nach anderen Massstäben zu behandeln. Diese Differenzierung hat gute Gründe. Geographische Angaben bedürfen im Hinblick auf ihren Schutz als geographische Herkunftsangaben einer markenrechtlichen Sonderbehandlung. Das markenrechtliche Eintragungshindernis für beschreibende geographische Angaben hat die wichtige Funktion, den Schutz als geographische Herkunftsangaben nicht nur zu ergänzen, sondern bereits im Vorfeld zu sichern. Auch geographische Bezeichnungen, die noch gar nicht als geographische Herkunftsangaben von der ortsansässigen Wirtschaft verwendet werden, sollen einem Schutz als Individualmarke entzogen werden. Die Entscheidung, ob eine geographische Angabe für bestimmte Produkte zum Markenschutz zugelassen wird oder nicht, ist zugleich auch immer eine Entscheidung für oder gegen ihren Schutz als geographische Herkunftsangabe. Solche Interessen stehen bei sonstigen beschreibenden Angaben nicht auf dem Spiel. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Markenrecht anerkennt dieses besondere Schutzbedürfnis der geographischen Herkunftsangaben, indem sie geographischen Bezeichnungen einen umfassenden Schutz vor einer Eintragung als Individualmarken einräumt.

3. Übernahme der gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsregeln im schweizerischen Recht
Aus schweizerischer Sicht stellt sich nach diesen Urteilen die Frage, ob und inwieweit die Auslegungsregeln des Europäischen Gerichtshofs im schweizerischen Recht zu berücksichtigen sind. Hier sollte man meines Erachtens zurückhaltend sein. Der Europäische Gerichtshof selbst gibt in seinem «Baby-dry»-Urteil mit dem Hinweis auf Art. 12 GMV zu erkennen, dass seine Auslegung eine klare Schrankenrege-lung voraussetzt. Art. 12 GMV und Art. 6 MarkenRL enthalten differenzierte gesetzliche Schutzschranken unter anderem für die Verwendung beschreibender Angaben, die im Schweizerischen Markenschutzgesetz fehlen. Auch die gesetzliche Ausgestaltung der absoluten Schutzhindernisse in Art. 2 MSchG ist mit den Bestimmungen in Art. 3 MarkenRL und Art. 7 GMV nicht unmittelbar vergleichbar. Ob die Regelung der absoluten Ausschlussgründe im Markenschutzgesetz jenen Auslegungsspielraum einräumt, den die europäischen Rechtsnormen bieten, ist offen. Bereits aus diesen Gründen eignet sich die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs nicht ohne weiteres für das gegenwärtige schweizerische Markenrecht. Hinzu kommt, dass die integrationspolitischen Gründe und Ziele des europäischen Markenrechts das schweizerische Recht nicht berühren. Im Übrigen bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den absoluten Eintragungshindernissen, zum Inhalt und zu den Schranken des Markenschutzes weiterentwickelt und wie die Behörden der Mitgliedstaaten, ihre Ämter und Gerichte, den ihnen verbleibenden Spielraum nutzen. Es wäre deshalb verfrüht, schon jetzt für eine Übernahme der europäischen Auslegungsgrundsätze im schweizerischen Recht zu plädieren. Allerdings könnte sich die Schweiz schon sehr bald vor die Entscheidung gestellt sehen, ob sie der europäischen Eintragungspraxis folgt oder nicht. Spätestens dann, wenn Marken aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, die nach den «Baby-dry»-Grundsätzen eingetragen worden sind, als international registrierte Marken in der Schweiz unter Schutz gestellt werden sollen, wird die Schweizerische Rechtspraxis ihren Kurs festlegen müssen. Das Bekennntnis der Rekurskommission zur Berücksichtigung ausländischer Voreintragungen28 wird dann möglicherweise nicht mehr zu halten sein.



* Dr. iur., Rechtsanwalt in München und Referatsleiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht.
1EuGH, GRUR Int. 2002, 47, "Baby dry"; dazu CH. MAILLEFER, Motifs absolus de refus d' enregistrement d'une marque, sic! 1/2002, 119 ff.
2EuGH, GRUR Int. 2002, 145, "Bravo"; dazu Maillefer, (Fn. 1) 119 ff.
3BPatG, GRUR 2000, 424, "Bravo".
4EUGH "Bravo" (Fn. 2), Rn. 21. EUGH "Baby Dry" (Fn. 1), Rn. 37.
5EUGH "Baby dry"" (Fn. 1), Rn. 37 und 38. EUGH "Bravo (Fn. 2), Rn. 22-25 und 28.
6EUGH "Baby dry (Fn. 1), Rn. 36.
7Rn. 77 und 78 der "Baby dry"-Schlussanträge vom 5. April 2001.
8P. STRÖBELE, Absolute Eintragungshindernisse im Markenrecht, GRUR 2001, 658 f.
9EUGH "Baby dry" (Fn. 1), Rn. 39.
10  EUGH "Baby dry" (Fn. 1), Rn. 39.
11Anders noch BGH, GRUR 1999, 1093, 1094, "For You".
12EUGH "Baby dry" (Fn. 1), Rn. 43 und 44.
13EUGH "Bravo" (Fn. 2), Rn. 29.
14EUGH "Bravo" (Fn. 2), Rn. 31.
15In diesem Sinne bereits BGH, GRUR 1999, 1089, "Yes".
16EUGH "Bravo" (Fn. 2), Rn. 35 und 36.
17EUGH "Bravo" (Fn. 2), Rn. 40.
18GRUR 2000, 424.
19In diesem Sinne auch Generalanwalt Colomer in seinen Schlussanträgen dort Fn. 51.
20Denkschrift über die Schaffung einer EWG-Marke aus dem Jahre 1976, GRUR Int. 1976, 482 f.
21Siehe Fn. 7.
22EUGH vom 2. Juni 1999, GRUR Int. 1999, 734, "Lloyd / Loints", Rn. 20; EUGH vom 29. September 1998, GRUR Int. 1998, 875, "Canon", Rn. 18.
23EUGH "Lloyd / Loints" (Fn. 22), Rn. 23.
24EUGH vom 4. Mai 1999, GRUR Int. 1999, 727, "Chiemsee".
25EUGH "Chiemsee" (Fn. 24), Rn. 30.
26EUGH "Chiemsee" (Fn. 24), Rn. 25-27.
27EUGH "Chiemsee" (Fn. 24), Rn. 26.
28sic! 2001, 460; sic! 1/2002, 41, 43, "Advance Bank".


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