sic! 2002 Ausgabe 3
JEAN-MICHEL DUCOMMUN*

Marken: Von der Unterscheidungs- und Abwehrfunktion zur Selbstschutzfunktion?

Trotz Einführung von Widerspruchsverfahren und anderen verfahrensrechtlichen Verbesserungen wird man den Eindruck nicht los, dass die Rechtsprechung in der Schweiz und insbesondere auch international auf eine Einengung des Schutzbereichs tendiert; als Beispiel sei der Entscheid der Cour d'Appel de Paris in der Sache "Ginova/Ginola" erwähnt. Die Abwehrfunktion der Marke wird dadurch tendenziell zum stumpfen Schwert, die Marke büsst ihre Unterscheidungsfunktion, die als die zentrale Markenfunktion angesehen wird, zunehmend ein. Andererseits führt die Verallgemeinerung des "first-to-file"-Prinzips in modernen Markengesetzgebungen für Gewerbetreibende dazu, dass die Eintragung aller wirtschaftlich wichtigen Marken für alle wichtigen Märkte zum Schutz des Vertriebs der eigenen Produkte oder Dienstleistungen unabdingbar wird - und zwar vor allem auch gegenüber jüngeren (!) Marken. International vereinheitlichte und teils zentralisierte Verfahren vermindern den finanziellen Aufwand für die Markeneintragung. Die Einführung von Widerspruchsverfahren begünstigt letztlich sogar die Sicherheit des Anmelders.

Malgré la généralisation de procédures d'opposition et autres améliorations procédurales, l'on a l'impression qu'en cas de litige, la jurisprudence suisse et étrangère tend à limiter la protection des marques; un exemple en est donné par la décision rendue le 21 mars 2001 par la Cour d'Appel de Paris dans le litige "Ginova/Ginola". L'affaiblissement de la protection conduira sans doute à un affaiblissement progressif de la fonction d'individualisation des marques, jusqu'ici considérée comme étant la fonction primaire voire primordiale d'une marque. D'autre part, la généralisation du système de protection du premier déposant ("first-to-file principle") dans la plupart des législations modernes, par opposition au système du premier usage ("first-to-use principle") autrefois dominant, a pour effet que de nos jours, l'industriel ou le commerçant est pratiquement obligé de faire enregistrer ses marques pour tous les marchés importants, ne serait-ce que pour y protéger la distribution de ses propres produits ou services, même face à des marques postérieures! Des procédures d'enregistrement uniformisées et souvent centralisées en rendent le coût abordable. Les procédures d'opposition contribuent d'ailleurs à la sécurité du déposant.


I. Unterscheidungsfunktion ja, Abwehrrechte nein?
Glaubt man einschlägigen Markenrechtskommentaren, so hat eine Marke vorab eine Unterscheidungsfunktion: sie soll Produkte oder Dienstleistungen eines Anbieters gegenüber gleichen oder gleichartigen Produkten oder Dienstleistungen anderer Anbieter individualisieren. Diese Funktion setzt voraus, dass dem Markeninhaber ein Abwehr- oder Verbietungsrecht in die Hand gegeben wird, mit welchem er sich gegen die Eintragung und / oder Benutzung identischer oder verwechselbar ähnlicher, jüngerer Zeichen Dritter für gleiche oder gleichartige Produkte oder Dienstleistungen zur Wehr setzen kann. Für Marbach ist die Abwehrfunktion denn auch nur ein Teilaspekt der Unterscheidungsfunktion einer Marke (E. Marbach, SIWR III, Basel 1996, 4). Beim heutigen, harten Wettbewerb kommt deshalb der Abwehrfunktion der Marke ein hoher Stellenwert zu. Letzterer erklärt auch den Ruf der Gewerbetreibenden nach geeigneten Mitteln zur Geltendmachung des Verbietungsrechts und findet beispielsweise seinen Niederschlag in der Einführung eines Widerspruchsverfahrens in den Markengesetzen von derzeit über 130 Ländern weltweit, oder in der territorialen Zuständigkeit bestimmter «Gemeinschaftsmarkengerichte» im Rahmen der EU-Länder. Man müsste also meinen, Markeninhaber könnten ihre rechtlichen Interessen heute und in Zukunft zunehmend in zufriedenstellender Weise wahrnehmen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind tatsächlich Verbesserungen feststellbar. Leider zeigt die Entwicklung der Rechtsprechung nicht in die selbe Richtung. Einerseits wird man als Praktiker das ungute Gefühl nicht los, dass der Schutzbereich der Marken in der Schweiz und international tendenziell sogar eingeschränkt wird. Insbesondere die auch von Marbach wiederholte Regel, es bestehe ein Abwehranspruch, sobald sich die Verwechselbarkeit zweier Zeichen aufgrund von deren Klangbild, Sinngehalt oder Bildwirkung bzw. Schriftbild – und sei es «auch nur einer dieser Ebenen» (Marbach, 118) – ergibt, wird offenbar zunehmend dahin verfremdet, dass bereits ein erkennbarer Unterschied auf einer (einzigen) dieser Ebenen zur Verneinung der Verwechselbarkeit führt. Insbesondere wird ein erkennbarer Sinngehalt der einen Marke sehr schnell zum ausschlaggebenden Argument gegen die Verwechslungsgefahr emporstilisiert. Andererseits bewahrheitet sich immer wieder A. Trollers bekannte Bemerkung, der Ausgang von Markenstreitigkeiten sei «meistens noch unsicherer als andere Prozesse und in der Voraussehbarkeit des Endurteils den Patentprozessen vergleichbar» (A. Troller, Immaterialgüterrecht I, 3. Aufl., Basel / Frankfurt a. M.1983, 252). Fast drängt sich die Unterstellung auf, sie seien gar noch weniger voraussehbar als Patentprozesse, denn während in Patentprozessen «häufig der technische Experte das entscheidende Gewicht in die Waagschale legt, trägt in Markenprozessen der Richter allein die Verantwortung» (Troller, 252). Statt vieler Beispiele lässt sich die erwähnte Tendenz zur Einschränkung des Schutzbereichs der Marken – oder ist es doch nur Trollers Erkenntnis? – am unveröffentlichten Entscheid der Cour d’Appel de Paris vom 21. März 2001 im Fall «Ginova» gegen «Ginola» veranschaulichen: da wurden zwar die Warengleichartigkeit und erwartungsgemäss auch die schriftbildliche und die phonetische Ähnlichkeit der Zeichen bejaht, aber die Verwechselbarkeit unter Hinweis auf den Begriffsinhalt trotz allem verneint mit der Begründung, Ginola sei der Name des «sehr bekannten» Fussballspielers David Ginola1. Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen selbst eine angebliche Bekanntheit des Namens Ginola die Verwechslungsgefahr aus der Welt schaffen könnte, nachdem die phonetisch und schriftbildlich unbestreitbar ähnliche klägerische Marke «Ginova» keinen (anderen) Begriffsinhalt hat. Dazu kommt, dass die Kriterien der Beurteilung einer Verwechslungsgefahr zweier Marken vom einen zum anderen Land stark variieren. Liegen sich zwei Parteien wegen ihrer Marken in mehreren Ländern in den Haaren, so sind (selbst bei völlig vergleichbarer Ausgangslage) gegensätzliche Entscheide der Markenämter bzw. Gerichte fast die Regel.

II. Wozu denn noch Markenschutz?
Die Unmöglichkeit einer einigermassen sicheren Prognose betreffend den Streitausgang und die erwähnte Tendenz der Rechtsprechung sind für Markeninhaber und deren Vertreter ernüchternd und werfen die berechtigte Frage mancher Mandanten auf, ob es sich denn überhaupt noch lohne, Marken eintragen zu lassen, wenn man davon ausgehen muss, das Verbietungsrecht lasse sich im Falle einer Markenkollision dann wohl doch nicht durchsetzen, d.h. dass man einen Dritten im konkreten Fall oftmals nicht daran hindern kann, eine verwechselbar ähnliche jüngere Marken eintragen zu lassen und zu benutzen. Die naheliegende Antwort, mangels Markeneintragung hätte der Gewerbetreibende erst recht kein Verbietungsrecht mehr, vermag nicht zu befriedigen und ergibt offensichtlich kein gutes «Verkaufsargument» für den Markenschutz.

III. Konsequenzen des «first-to-file»-Prinzips und des Widerspruchsverfahrens
Eine andere Funktion der Marke wird aber in der Praxis häufig übersehen und soweit ersichtlich in keinem einschlägigen Markenrechtskommentar erwähnt, obwohl sie – insbesondere aufgrund der zunehmenden internationalen Aktivitäten der meisten Anbieter – schon heute eine wichtige rechtliche Rolle spielt. Durch die Abkehr der modernen Markengesetze praktisch aller Länder vom früheren «first-to-use»-Prinzip oder «Gebrauchsprinzip» (L. David, Kommentar zum Markenschutzgesetz, 2. Aufl., Basel 1999, MSchG 6 N 3) zugunsten des «first-to-file»-Prinzips («Hinterlegungsprinzip» bzw. «Eintragungsprinzip») erhält die Marke nämlich eine weitere und für den Markeninhaber höchst wichtige Funktion, welche durch die generelle Einführung von Widerspruchsverfahren noch verstärkt wird: Die Markeneintragung bietet dem Gewerbetreibenden die Gewähr, dass er seine Waren oder Dienstleistungen heute und vor allem auch in Zukunft unter seiner Marke wird anbieten und vertreiben können, ohne selber im Nachhinein vom Inhaber einer identischen oder verwechselbar ähnlichen und womöglich sogar jüngeren (!) Marke daran gehindert zu werden. Aufgrund der eingangs erwähnten, traditionellen Abwehrfunktion der Marke verfügt deren Inhaber über ein Klagerecht gegen Verletzer – aufgrund der hier erwähnten Funktion hingegen bannt der Markeninhaber die Gefahr, seinerseits wegen angeblicher Markenverletzung beklagt zu werden. Die neue Funktion könnte als «Versicherungsfunktion» bezeichnet werden, wobei der Ausdruck «versichern» hier im umgangssprachlichen Sinn als «sich über etwas Sicherheit oder Gewissheit verschaffen» (Duden, Bedeutungslexikon, 1970) zu verstehen ist. Um ungewollte gedankliche Verbindungen zum versicherungstechnischen Sinn des Ausdrucks zu vermeiden, werde ich allerdings fortan den Ausdruck «Selbstschutzfunktion» verwenden. Die Einführung des «first-to-file»-Prinzips hat nämlich einerseits, und wie David (David, MSchG 6 N 4) richtig feststellt, den grossen Vorteil, dass das Hinterlegungsdatum einer Marke (im Gegensatz zum Datum des Erstgebrauchs) für Dritte leicht feststellbar ist und sogar veröffentlicht wird, sodass bei Vorabklärungen für eine neue Marke allfällige Vorrechte Dritter weitgehend2 abgeklärt werden können. Damit lassen sich die Risiken von potenziellen Kollisionen mit älteren Drittmarken abschätzen. Die Einführung von Widerspruchsverfahren führt zusätzlich dazu, dass Inhaber älterer Marken ihre Rechte innerhalb einer kurzen und genau festgelegten Frist geltend machen. Richtig ist zwar, dass sie die Rechte noch später auf gerichtlichem Weg durchsetzen könnten; wer sich aber nicht die Mühe nimmt, seine Marken regelmässig zu überwachen und rechtzeitig den einfachen und kostengünstigen Weg des Widerspruchs zu beschreiten, wird im Normalfall kaum das Risiko und die Kosten eines gerichtlichen Verfahrens auf sich nehmen. Der Anmelder einer Marke hat nach deren Eintragung und nach Ablauf der Widerspruchsfrist bzw. nach erfolgreicher Abwehr allfälliger Widersprüche praktisch die Gewissheit, von den Inhabern älterer Marken in Ruhe gelassen zu werden. Dies insbesondere auch im Ausland. Die Konsequenzen des «first-to-file» – bzw. Hinterlegungsprinzips gehen aber bedeutend weiter als die von David erwähnte Feststellung allfälliger Vorrechte Dritter; sie erstrecken sich auch auf – wenn ich dem so sagen darf – «Nachrechte» Dritter: Wer nämlich ein Zeichen ohne entsprechende eigene Markenanmeldung bzw. -eintragung benutzt, geht das Risiko ein, den Gebrauch seines Zeichens nachträglich wieder einstellen zu müssen, falls ein Dritter jemals – womöglich sogar Jahre später – ein identisches oder verwechselbar ähnliches Zeichen für gleiche oder gleichartige Produkte oder Dienstleistungen als Marke eintragen lässt und dann seine Rechte gegen ihn geltend macht. In der Schweiz hat der Gesetzgeber zwar die Konsequenzen des Hinterlegungsprinzips durch die Ausnahmebestimmung des sogenannten «Weiterbenützungsrechts» (Art. 14 MSchG) gemildert; aber abgesehen davon, dass diese Regel nur Härtefälle für «kleine Markenbenützer» (Marbach, 206) abfedert, ist zu berücksichtigen, dass das Weiterbenützungsrecht im Bereich des Markenrechts eine schweizerische «Spezialität» ist und im Ausland weitgehend unbekannt sein dürfte.

IV. Die Gefahren mangelnder Markeneintragung
Wer also sein Zeichen ohne formelle eigene Markenanmeldung bzw. -eintragung benutzt, läuft – zumal in Exportländern – Gefahr, dass ihm sein Zeichen nachträglich durch einen Dritten «weggeschnappt» wird und dass seine wirtschaftlichen Interessen im betreffenden Land stark gefährdet werden. Oft erwähnt werden diesbezüglich Fälle klarer Markenpiraterie, wo ein bösgläubiger Konkurrent oder gar ein «wildfremder» Dritter die Marke auf eigenen Namen schützen lässt, um die Geschäftstätigkeiten des Gewerbetreibenden im betreffenden Land zu behindern bzw. ihm «seine» Marke gegen hohes «Lösegeld» zu verkaufen. Solche Fälle lassen sich meist nur durch aufwändige Gerichtsverfahren oder aber auf finanzieller Ebene regeln. Häufiger sind wohl die Fälle von Anmeldungen durch ungetreue Agenten. Typisch ist hier der Fall des Wiederverkäufers, der die Marke seines Lieferanten im eigenen Namen anmeldet. Hat der rechtmässige Eigentümer seine Zustimmung dazu nicht gegeben, so hat er mangels eigener Anmeldung oder Eintragung ohnehin in den wenigsten Ländern die Möglichkeit, gegen die Anmeldung der so genannten Agentenmarke (Art. 6septies PVÜ) Widerspruch einzulegen. In gewissen Fällen besteht wohl die Möglichkeit eines Widerspruchs aufgrund der «notorisch bekannten Marke», wobei aber deren Voraussetzungen keinesfalls immer erfüllt sind. Mangels Widerspruchsmöglichkeit müsste sich der rechtmässige Eigentümer an die Zivilgerichte im Land des Wiederverkäufers wenden. Er unterlässt dies meist mit Rücksicht auf «gute» Geschäftsbeziehungen und auf die Umsatzzahlen, die der Wiederverkäufer für seine Produkte erzielt. Spätestens bei Abbruch der (womöglich sogar nur indirekten) Beziehungen erfährt er dann, dass der Wiederverkäufer ihm die Marke erst recht nicht mehr freiwillig abtreten will und dass die lokalen Regeln zum Schutz gegen die Agentenmarke voller Tücken sind. Dies insbesondere deswegen, weil der Begriff des Agenten auslegungsbedürftig ist (vgl. David, MSchG 5 N 3) und weil der Wiederverkäufer die Marke in seinem Land «aufgebaut» hat und der «Goodwill» ihm zusteht. David ist zwar hinsichtlich der Lage in der Schweiz optimistisch, räumt aber bereits ein, dass sich die PVÜ und selbst die EG-RL3 «nicht über die Folgen des späteren Wegfalls der Einwilligung» aussprechen (David, MSchG 5 N 6). Im Ausland sind also für den Gewerbetreibenden «böse Überraschungen» vorprogrammiert. Gleichsam zwischen dem Fall der Markenpiraterie und demjenigen des ungetreuen Agenten liegen die Fälle, wo sich der Gewerbetreibende in Verhandlungen mit Interessenten für einen möglichen Vertrieb seiner Produkte oder Dienstleistungen in deren Land einlässt und diese Interessenten gleich zu Beginn der Verhandlungen die entsprechende Marke auf ihren eigenen Namen anmelden – angeblich zum Schutz ihres Gesprächspartners vor Dritten. Bekannt und nicht selten sind aber auch Fälle, wo ein Dritter gutgläubig – oder jedenfalls nicht nachweislich bösgläubig – eine identische oder doch hochgradig verwechselbare Marke für seine eigenen Geschäftsaktivitäten eintragen lässt, wobei sich letztere schon anfangs oder im Laufe der Zeit mit denjenigen des Gewerbetreibenden überschneiden. Ein solches Risiko besteht erfahrungsgemäss vermehrt für eher alltägliche, von Hause aus schwach unterscheidungskräftige Marken, insbesondere für Akronyme.

V. Markenschutz als Selbstschutz
Um die obigen Gefahren zu bannen, gibt es wohl keine andere Lösung, als die Marke in allen für den Gewerbetreibenden heute oder in absehbarer Zukunft – typischerweise rund 5 Jahre – wirtschaftlich wichtigen Ländern eintragen zu lassen. Finanziell ist eine Markeneintragung heutzutage dank international vereinheitlichten und teils zentralisierten Verfahren erschwinglich. Erwähnt seien hier die europäische Gemeinschaftsmarke und vor allem das Madrider Protokoll4 (MMP), dem jetzt fast monatlich neue Staaten beitreten. Die Benennungsgebühren sind für die meisten5 MMP-Länder moderat und tendenziell sogar sinkend, insbesondere auch im Vergleich zu den Kosten nationaler Anmeldungen. Nachträgliche Schutzausdehnungen auf zusätzliche Länder sind ebenso kostengünstig. Die eingangs erwähnten Verbesserungen des Markenschutzes in verfahrensrechtlicher Hinsicht werden also auch hier sichtbar. Die eingetragene Marke dient dann dem Anbieter nicht mehr (nur) der Individualisierung seiner Waren oder Dienstleistungen, sondern (auch) der Sicherung der rechtlichen Möglichkeit, überhaupt in Zukunft noch Produkte oder Dienstleistungen unter seiner Marke anbieten zu können. Für starke Marken drängt sich die Markeneintragung als Selbstschutz gegen die Markenpiraterie und die so genannte Agentenmarke ohnehin auf, während die Gefahr von zufällig identischen oder verwechselbar ähnlichen Marken eher vernachlässigbar ist.

VI. Selbstschutzfunktion contra Unterscheidungsfunktion
Die hier angesprochene Selbstschutzfunktion einer Marke ist nicht Ausfluss der Unterscheidungsfunktion; sie ist selbstständig. Ohne hier im Geringsten der Tendenz vieler Gewerbetreibenden und vor allem deren Marketing- und Werbeleuten das Wort reden zu wollen, möglichst «trendige» Marken zu wählen, welche dann zwangsläufig nur schwach unterscheidungskräftig sind – aus der Sicht des Markenrechtlers ist und bleibt «Kodak» eine bessere Marke als «Supershot», und «Fakirbed» ist und bleibt für Blumensteckigel eine bessere Marke als «Flowerpic» –, so wird gerade hier der Unterschied der beiden Funktionen offensichtlich. Je weniger unterscheidungskräftig eine Marke ist, desto mehr tritt ihre Unterscheidungsfunktion in den Hintergrund und rechtfertigt im Extremfall kaum noch den Versuch, eine Marke überhaupt eintragen zu lassen – aber genau dann tritt die Selbstschutzfunktion der Marke in den Vordergrund, und ein Markenschutz rechtfertigt sich jedenfalls im Hinblick auf zufällig identische oder verwechselbar ähnliche Marken nach dem Motto: falls das von mir benutzte Zeichen überhaupt noch als Marke eintragbar ist, dann soll die Eintragung zur Sicherung des Vertriebs meiner Waren oder Dienstleistungen mir gehören, nicht einem meiner Konkurrenten. In solchen Situationen kann sich selbst die Eintragung von Wort- / Bildmarken oder Schriftzügen mit schwach unterscheidungskräftigen oder gar rein beschreibenden Wortelementen rechtfertigen, obwohl derartige Marken hinsichtlich Benutzung erfahrungsgemäss selten eine lange «Lebensdauer» haben6. Wenn sich der Gewerbetreibende von der Wahl einer schwach unterscheidungskräftigen Marke nicht (mehr) abbringen lässt, so mag sich eine Markeneintragung im Hinblick auf die Selbstschutzfunktion sogar im Ausland aufdrängen, selbst wenn man hinsichtlich der Unterscheidungsfunktion und des aus einer solchen Markeneintragung resultierenden Verbietungsrechts Vorbehalte machen muss.

VII. Fazit
Die frühzeitige Anmeldung und Eintragung von Marken wird aufgrund des «first-to-file»-Prinzips und der Verallgemeinerung der Widerspruchsverfahren zu einem absoluten «Must» als Selbstschutz des Gewerbetreibenden für alle wichtigen Marken auf allen für ihn wirtschaftlich wichtigen Märkten. Benutzung ohne entsprechende Markeneintragung wird für wichtige Märkte zur sträflichen Nachlässigkeit. Vor allem für die stark export-orientierten Schweizer Unternehmen wird die Selbstschutzfunktion der Marke in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen, selbst wenn die Marke allenfalls, wie eingangs erwähnt, tendenziell einen Teil ihrer Unterscheidungs- und Abwehrfunktion einbüsst – sei dies nun wegen der von mir kritisierten Entwicklung der Rechtsprechung oder wegen der Tendenz vieler Gewerbetreibenden zur Wahl von «trendigen», schwach unterscheidungskräftigen Marken.



*lic. iur., Bovard AG, Bern.
1   
Auszug aus der Argumentation der Cour d'Appel : „Considérant que visuellement, les dénominations en présence sont de la même longueur et ont en commun cinq lettres placées dans le même ordre (g,i,n,o et a) ce qui leur confère une physionomie commune; Que phonétiquement, elles sont toutes deux trisyllabiques et débutent par le même son „Gino“ pour s’achever par le son „a“; que la seule différence visuelle et phonétique résultant de l’emplacement des lettres „V“ et „L“ au coeur des dénominations n’est pas de nature à les individualiser; considérant que sur le plan intellectuel, la marque „Ginova“ ne possède aucune signification particulière pour le public concerné ; qu’en revanche, le signe contesté „Ginola“ […] est perçu en France comme le nom patronymique d’un joueur de football français très connu et est de nature à permettre de distinguer fortement les produits visés dans la demande d’enregistrement; que la notoriété attachée à ce nom patronymique confère au signe „Ginola“ une distinctivité propre qui rend secondaires et accessoires les ressemblances visuelles et phonétiques constatées; Qu’il n’existe par conséquent pour le consommateur d’attention moyenne aucun risque de confusion entre les deux signes […] ".
2DAVID, MSchG 6 N 4 zufolge gibt es dank Hinterlegungsprinzip sogar „keine Überraschungen“ mehr. Dabei übersieht er aber insbesondere das Risiko, dass nachträglich noch eine Marke unter Beanspruchung der PVÜ-Priorität angemeldet wird.
3Erste Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, vom 21. Dezember 1988.
4Protokoll vom 27. Juni 1989 zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken.
5Zu hoffen ist bloss, dass Japan seine derzeit unsinnig hohen individuellen Benennungs- und Klassengebühren herabsetzt und seine Praxis hinsichtlich Zurückweisungen überdenkt, und dass die dem MMP in nächster Zeit beitretenden Länder – die USA ? – sich hinsichtlich Gebühren und Formalitäten an den übrigen Ländern orientieren.
6Derartige Marken haben hinsichtlich Benutzung erfahrungsgemäss selten eine lange „Lebensdauer“, weil deren Grafik schnell veraltet. Sie erscheinen dem Gewerbetreibenden als ein gangbarer Ausweg für die Eintragung von ansonsten kaum eintragbaren Marken. Gleichzeitig fällt es dem Markeninhaber schwer, die Kehrseite der Medaille zu akzeptieren, nämlich dass die Marke eben nur aufgrund ihrer speziellen Grafik eingetragen wurden und also weder ein effizientes Verbietungsrecht gegen Dritte ergibt noch selber bei erstbester Gelegenheit grafisch modernisiert werden darf, ohne den Markenschutz wiederum in Frage zu stellen.


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