sic! 2002 Ausgabe 6
FLORENT THOUVENIN*

E-Government - Tagung des Schweizer Forum für Kommunikationsrecht (SF), der Swiss Interactive Media Association (sima) und des Zentrum für Informations- und Kommunikationsrecht der Universität Zürich (ZIK) vom 19. März 2002 in Zürich

In seiner Begrüssung blickte RA Dr. Mathis Berger zurück auf die noch bis vor kurzem herrschende Euphorie im Zusammenhang mit Fragen rund ums e-Government. Vor allem die Idee des guichet virtuel, der Verwaltungsleistungen rund um die Uhr ermöglichen soll und das e-Voting, das Abstimmen und Wählen per Internet, seien in aller Munde gewesen. Heute scheine dagegen der Realismus Einzug gehalten zu haben, so solle etwa das e-Voting erst im Jahre 2010 möglich werden. Zum Thema «e-Government: Wünschbares und Machbares» sprach Dr. h.c. Beat Kappeler, Journalist bei der Weltwoche und der NZZ am Sonntag. Er erwartet von den verschiedenen Massnahmen des e-Government eine doppelte Rationalisierung; eine einfachere und zeitsparendere Benützung öffentlicher Leistungen für den Bürger und eine rationellere Erbringung dieser Leistungen auf Seiten der Verwaltung. Dazu müssten aber unter anderem die Internetportale des Staates noch deutlich verbessert werden. Gera- de der Internetauftritt des Bun- des (www.admin.ch) zeige, dass die Homepages der Verwaltungen in der Regel die Innensicht des Staates widerspiegeln, statt Aufbau und Inhalt an den Bedürfnissen der Benutzer auszurichten; ein lobenswertes Beispiel sei hier die Seite der US-amerikanischen Regierung (www.firstgov.gov). Der Referent wies weiter darauf hin, dass sich die elektronisierten Abläufe nach dem Motto: «e-Government eats the administration as we know it», drastisch auf die Strukturen der Verwaltung auswirken werden; so müsse etwa das Personal auf Bruchteile abgebaut werden, wenn sich die erwarteten Rationalisierungen tatsächlich realisieren liessen. Der Zukunft des e-Voting sieht Kappeler mit skeptischem Blick entgegen. Dieses sei im Vergleich zur brieflichen Stimmabgabe um ein Vielfaches teurer und bringe kaum Einsparungen an Aufwand und Zeit, weder beim Bürger noch bei den Behörden. Die Hoffnung, durch das e-Voting die Stimmbeteiligung erhöhen zu können sei irreal. Zwar würde das e-Voting neue Möglichkeiten für Volksabstimmungen eröffnen, beispielsweise Varianten-Abstimmungen und Entscheidungsbäume, solche technisch machbaren Lösungen würden aber tiefgreifende Konsequenzen für die Demokratie nach sich ziehen. An vergleichbare Änderungen der Stimm- und Wahlmethoden hätten in der Geschichte schon Revolutionen angeknüpft, denn «rules matter». Auf die gesellschaftlichen und technischen Herausforderungen des e-Voting trat Dr. Frank Zimmermann, Hewlett-Packard (Schweiz) AG, ein. Unter e-Voting verstehe man die Ausübung des Wahlrechts bei Abstimmungen oder Wahlen, wenn die relevanten Daten über elektronische Netzwerke (Internet) übermittelt werden. Die Vorteile würden vor allem im geringeren Aufwand bei der Stimmabgabe und in einer erhofften höheren Stimmbeteiligung, z.B. bei den Auslandschweizern, liegen; das e-Voting könne zudem innerhalb der e-Government Initiativen eine Vorreiterrolle übernehmen. Voraussetzungen für die Realisierung dieses Projekts seien neben der Lösung der technischen und operativen Probleme eine gesetzliche Grundlage und ein elektronisches Stimmregister. Für die Fragen der Sicherheit, der Geheimhaltung und des Datenschutzes sowie der korrekten Ermittlung des Wahl- bzw. Abstimmungsergebnisses würden Antworten bereitstehen; e-Voting sei daher technisch und operativ machbar. Dies zeige beispielsweise das bereits weit fortgeschrittene e-Voting Pilotprojekt in Genf. Zimmermann betonte die zahlreichen Analogien von brieflicher Stimmabgabe und e-Voting, die einen entsprechend grossen Synergieeffekt aufweisen würden; entsprechend sollten sich diese beiden Verfahren in Zukunft nicht ausschliessen, sondern gegenseitig ergänzen. Primus Schlegel, Hauptabteilungsleiter Organisationsentwicklung im Steueramt des Kantons St. Gallen, erläuterte die Aspekte der Umsetzung beim Einreichen der Steuererklärung per Internet (e-Taxes). Die gesellschaftliche Entwicklung weg von der Industrie- und hin zur Informationsgesellschaft, die Verbreitung der neuen Kommunikationstechnologien (Internet) und die Vorgaben einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung (New Public Management) hätten, so der Referent, den Hintergrund gebildet für das e-Taxes-Projekt im Kanton St. Gallen. Dieses Projekt solle gleichzeitig sowohl den Bedürfnissen der Kunden nach e-Business mit der Verwaltung als auch dem Bedürfnis der Mitarbeiter nach e-Business in der Verwaltung Rechnung tragen; es gelte, die Chancen der neuen Technologien zu erkennen und wahrzunehmen und das Leistungsangebot der Verwaltung effizienter und qualitativ besser zu gestalten. Es sei aber nicht damit getan, das Internet als Plattform zur Selbstdarstellung des Staates zu nutzen; vielmehr müsse eine zweite Stufe der Kommunikation zwischen Staat und Bürger und schliesslich eine dritte der Transaktion und Interaktion erreicht werden. In diesem Sinn ermögliche heute der Kanton St. Gallen als erster Kanton, die Steuererklärung per Internet nicht nur auszufüllen, sondern auch einzureichen. Der Systemwechsel hin zur jährlichen Steuererklärung habe in St. Gallen den Auslöser für die Einführung von e-Taxes gebildet; dem durch die jährliche Veranlagung entstehenden Mehraufwand könne so mit den neuen Technologien statt mit der Erhöhung des Personalbestandes begegnet werden. Attraktiv sei für das Steueramt vor allem der Verzicht auf die nochmalige Datenerfassung durch die Behörde und die Reduktion des Archivbedarfes. Auch auf Seiten der Steuerpflichtigen werde e-Taxes den Aufwand durch die Vereinfachung des Deklarationsverfahrens, durch benutzerfreundlichere Formulare und Wegleitungen und durch die Eröffnung neuer Kommunikationswege mit den Behörden reduzieren; zudem lassen sich die Daten für die nächste Steuererklärung speichern und wiederverwenden. Dem Aspekt der Sicherheit habe man bei der Erarbeitung des e-Taxes-Systems höchste Priorität eingeräumt; erklärtes und erreichtes Ziel sei es gewesen, das elektronische Verfahren mindestens so sicher wie das herkömmliche zu machen. In der Folge erläuterte Schlegel Funktionsweise und Ablauf von e-Taxes in St. Gallen. Der Steuerpflichtige lädt online die Applikation und seine persönlichen Daten auf den PC, füllt anschliessend offline die Steuererklärung aus und sendet diese online ans Steueramt, wobei er sich mit Hilfe eines Passwortes, das ihm mit der Steuererklärung zugeschickt wird, gegenüber dem System identifizieren muss. Der e-Taxes Server des Steueramtes stellt fürs Einreichen eine Quittung aus und sendet diese per Internet an den Steuerpflichtigen, der die Quittung ausdruckt, unterschreibt und zusammen mit den nicht elektronisch verfügbaren Belegen (z.B. dem Lohnausweis) per Post ans Gemeindesteueramt schickt. Dieses prüft Quittung und Belege und sendet das Akzept an den Server, der zum Schluss die Daten automatisch ans Veranlagungsprogramm übermittelt. Diese Lösung mit Passwort und Quittung sei nicht zuletzt deshalb gewählt worden, weil für die digitale Signatur eine ausgereifte Lösung und eine gesetzliche Grundlage noch fehlten. Die digitale Signatur im Handelsregisterbereich war Thema des Vortrages von Michael Gwelessiani vom Handelsregisteramt des Kantons Zürich. Anwendungsmöglichkeiten der digitalen Signatur sieht er für das Handelsregisteramt bei E-Mails und beim Ausstellen von beglaubigten Handelsregisterauszügen, für die Kunden des Amtes beim Zustellen von Anmeldungen und weiteren Eingaben. Die digitale Signatur sei als elektronische Identitätskarte zu verstehen, die auf dem Zertifikat einer Zertifizierungsstelle basiere, wobei diverse Stufen einer solchen Zertifizierung erhältlich seien, die jeweils unterschiedliche Glaubwürdigkeiten aufweisen würden. In der Schweiz fehle es noch an einer gesetzlichen Regelung der digitalen Signatur; es liege lediglich ein Vorentwurf vor. Trotz zunehmendem elektronischen Geschäftsverkehr seien digitale Signaturen (noch) nicht verbreitet, denn die technischen Unzulässigkeiten seien gross und die Sicherheit könne trotz zahlreicher Sicherheitsvorkehren nicht wirklich gewährleistet werden. Er räumte zwar ein, dass auch der Briefverkehr nicht sicher sei, stellte aber sogleich die Frage, ob es denn diese Tatsache rechtfertige, zusätzliche Risikoquellen zu schaffen. Insgesamt ist Gwelessiani deshalb skeptisch in Bezug auf die technische Machbarkeit, die Wirtschaftlichkeit und den Nutzen für die Beteiligten; der Aufwand erscheint ihm unter diesen Gesichtspunkten unverhältnismässig zu sein. Eine Standortbestimmung auf dem Weg zum papierlosen Prozess nahm Dr. Jacques Bühler, Stellvertretender Generalsekretär des Schweizerischen Bundesgerichts vor. Im Rahmen der e-Government Projekte des Bundes erarbeitet ein Projektausschuss, bestehend aus Vertretern des Schweizerischen Anwaltsverbandes, des Bundesamtes für Justiz und des Bundesgerichts unter dem Projekttitel JusLink den gesetzlichen und technischen Rahmen für den elektronischen Rechtsverkehr zwischen Anwälten und Gerichten sowie zwischen den Gerichten. JusLink will, so der Redner, in naher Zukunft den elektronischen Dokumentenverkehr ermöglichen; dazu solle im ersten Halbjahr 2003 ein Pilotprojekt in Zürich und Genf durchgeführt werden. Als Fernziele würden dagegen die elektronische Abwicklung der finanziellen Transaktionen im Rahmen eines Verfahrens sowie die Bildübermittlung eines virtuellen Gerichtssaales gelten. Im papierlosen Prozess werde sich der Anwalt beim zentralen JusLink-Computer das für seine Eingabe benötigte Formular holen, ausfüllen, unterzeichnen und unter Beilage der elektronisch verfügbaren Beweise absenden; wenige Minuten nach Versand erhalte der Anwalt eine Empfangsbestätigung. Weiter sollen die Gerichtskosten nach Bühler direkt von einem Konto abgezogen werden, dessen Nummer der Anwalt in seiner Eingabe angeben müsse. Der Anwalt der Gegenpartei erhalte sodann vom Gericht ein bereits mit den Kopfdaten versehenes Formular, sodass er sich ganz auf den Inhalt seiner Klageantwort konzentrieren könne. Elektronisch erfolge auch die Vorladung zur Verhandlung. Sei ein Entscheid gefällt worden, so erhielten die Anwälte vom Gericht eine entsprechende Meldung. Das Urteil selbst müsse dann beim zentralen JusLink-Computer in einem elektronischen Fach abgeholt werden; so könne das Abholen registriert und der Zeitpunkt für den Beginn der Beschwerdefrist zuverlässig festgestellt werden. Das Verfahren vor zweiter Instanz verlaufe sinngemäss; hier könne der Anwalt beim JusLink-Computer ein Beschwerdeformular beziehen, und dank der JusLink-Schnittstelle könnten die formellen Daten des angefochtenen Entscheides direkt ins Beschwerdeformular überführt werden. Nach der Zustellung werde gegebenenfalls das Urteil in anonymisierter Form an weitere Interessenten, Journalisten oder Fachzeitschriften versandt. Die Probleme rund um die Cyber-Arbitration wurden von RA Prof. Dr. Daniel Girsberger von der Universität Luzern erläutert. Im internationalen Verhältnis warte die Praxis nicht, so der Redner, die Cyber-Arbitration sei da schon Realität. Hinter Cyber-Arbitration stehe die Idee, Konflikte, die online entstanden seien, auch online zu lösen. Den Begriff «Arbitration» könne man in diesem Zusammenhang aber nicht mit dem deutschen Wort Schiedsgerichtsbarkeit gleichsetzen, denn bei der Cyber-Arbitration ergehe im Gegensatz zu dieser gerade kein Entscheid, der mit derselben Wirkung wie ein staatliches Gerichtsurteil ausgestattet sei. Statt des irreführenden Modewortes Cyber-Arbitration etabliere sich daher für alternative, über das Internet durchgeführte Verfahren zur Streitbeilegung mehr und mehr der Begriff «ODR» (Online Dispute Resolution). Solche ODR-Verfahren würden heute primär in den USA und dort vorab im Verhältnis Business to Consumer schon tausendfach durchgeführt. Die ODR würden aber eine Vielzahl von Problemen aufwerfen: Vertraulichkeit, Sicherheit und Datenschutz, Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit der Entscheide sowie die Wahrung der Verfahrensrechte, insbesondere des rechtlichen Gehörs, seien nur einige davon. Im Bereich der Registrierung von Domainnamen habe ein gemeinnütziges kalifornisches Unternehmen, die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), ein besonderes online-Rechtsschutzverfahren geschaffen; dieses Verfahren sei in einer Policy geregelt, welche zwischen den Registratoren von Domainnamen mit den Endungen .com, .net und .org und ihren Kunden gelte. Zurzeit würden vier zugelassene Streitbeilegungsanbieter nach diesen Verfahrensregeln entscheiden, wenn ein Kunde eines dieser Registratoren sich durch einen verwechselbaren Domainnamen verletzt fühle und bei einem dieser Streitbeilegungsanbieter Beschwerde einlege, so Girsberger. Habe jemand Beschwerde erhoben, so werde diese durch den Anbieter drei Tage nach Erhalt der durch den Beschwerdeführer zu entrichtenden Gebühr an den Beschwerdegegner übermittelt. Wolle sich dieser auf die Beschwerde einlassen, so müsse er innert 20 Tagen dem Streitbeilegungsanbieter seine Erwiderung übermitteln. Innerhalb von 5 Tagen wähle der Anbieter sodann einen oder mehrere Schiedsrichter, welche 14 Tage Zeit hätten, einen Entscheid zu fällen; dieser werde vom Streitbeilegungsanbieter innert drei Tagen an die Parteien, den betroffenen Registrator und die ICANN übermittelt und auf einer Website veröffentlicht. Erkenne der Schiedsrichter zu Gunsten des Klägers und werde nicht innerhalb von zehn Tagen die Erhebung einer ordentlichen Klage durch den Beschwerdegegner nachgewiesen, so übertrage der Registrator den Domainnamen auf den Kläger. Diese Art von Verfahren sei kostengünstig und schnell und biete zudem den Vorteil, bei der Vollstreckung ohne staatlichen Zwang auszukommen. Dem stünden aber auch gewichtige Nachteile gegenüber: das Verfahren sei nur summarisch und vermöge daher nur klare Fälle richtig zu erfassen; es biete nicht die Sicherheit eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Weiter bestehe die Gefahr, dass die Beschwerdeführer im Sinn des «forum shopping» jeweils denjenigen Streitbeilegungsanbieter berücksichtigen würden, der am häufigsten zugunsten der Kläger entscheide; so habe ein im Vergleich zu den Konkurrenten eher beklagtenfreundlich entscheidender Streitbeilegungsanbieter seine Dienste bereits eingestellt. Zum Schluss wies Girsberger auf die grundsätzliche Problematik der Rechtsdurchsetzung im e-Commerce hin; diese sei angesichts der Internationalität des Internets und der daraus folgenden Rechtsbeziehungen mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Es könne davon ausgegangen werden, dass ein schweizerischer Konsument angesichts dieser Schwierigkeiten zur Geltendmachung seiner Rechte kaum ein ordentliches Gerichtsverfahren im Ausland anstrengen würde; stattdessen ginge er im Streitfall seiner Rechte verlustig und würde bei der nächsten Gelegenheit vielleicht vom e-Commerce Abstand nehmen. Das Vertrauen in den Rechtsverkehr über das Medium Internet könne daher nur aufgebaut werden, wenn der Kunde sicher sei, seine Rechte auch effektiv durchsetzen zu können. Hier sei der Gesetzgeber aufgerufen, vor allem die Selbstregulierung staatlich zu unterstützen, eventuell gar die Onlineschiedsgerichtsbarkeit umfassend rechtlich zu normieren. Angesichts der raschen technischen Entwicklung und der Internationalität der Sachverhalte sei aber ein «rechtliches Korsett» zu vermeiden; die Streitbeilegungsanbieter könnten so ihre Verfahren der technischen und sozialen Realität flexibler anpassen. Als Ergänzung oder gar Ersatz «harter» Rechtssetzung sei die Entwicklung eines Zertifikats für ODR-Verfahren zu empfehlen; bei erfolgreicher Zertifizierung würden dann «ODR Trustmarks» vergeben, welche die Einhaltung der Mindestanforderungen an ein faires Verfahren garantieren würden.



* lic. iur., wiss. Assistent am Lehrstuhl für Immaterialgüterrecht der Universität Zürich.


Fenster schliessen