sic! 2002 Ausgabe 9
MARION VIOL*

Neuntes St. Galler Internationales Kartellrechtsforum vom
25. / 26. April 2002

In der letzten Aprilwoche 2002 fand an der Universität St. Gallen das Neunte St. Galler Internationale Kartellrechtsforum statt, das unter der Leitung von Prof. Dr. Carl Baudenbacher, Richter am EFTA-Gerichtshof, Ordinarius an der Universität St. Gallen HSG, steht. In seinem Eröffnungsreferat zu den aktuellen Entwicklungen in der Praxis der Europäischen Kommission sprach Dr. Sven Norberg, Direktor in der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission und Richter am EFTA-Gerichtshof a.D., v.a. über den Kraftfahrzeugsektor und die Pharmaindustrie. Er wies darauf hin, dass immer häufiger die oberste Unternehmensspitze bei Kartellverstössen involviert sei, was die Frage nach der Effektivität des Sanktionensystems aufwerfe
Prof. Dr. Dr. h.c. Helmuth Schröter, Professor an der Universität des Saarlandes, Direktor und Anhörungsbeauftragter in der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission a.D., wies die v.a. in den USA vertretene These, wonach das Verfahren vor der Kommission rechtsstaatliche Mängel aufweist, zurück. In seinem Referat zum Thema «Wie plädiert man in den Verfahren vor der Europäischen Kommission?» befasste er sich mit der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs – differenziert einmal nach Verfahrensabschnitten und nach der Art der Verfahrensbeteiligung andererseits. Die Ausübung der Verteidigungsrechte in der Praxis erörterte er sowohl für die Phase der Untersuchung als auch für die des förmlichen Verfahrens. Bo Vesterdorf, Präsident des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, betonte in seinem Vortrag zu den neuesten Entwicklungen in der Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshöfe, dass eine allfällige Einführung von Strafsanktionen im Europakartellrecht auch entsprechende Verfahrensgarantien bedingen würde. Er besprach insbesondere die Urteile M6, Institut der beim europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter und Wouters. Weitere Schwerpunkte des Referats bildeten die Rechtsprechung zu nach Art. 81 Abs. 1 EG verbotenen Vereinbarungen, zur Prüfung der Beschwerden durch die Kommission, zur Bestimmung der Höhe der Geldbussen und zu Fusionsfällen. Der Präsident der schweizerischen Wettbewerbskommission, Prof. Dr. Roland von Büren, Ordinarius für Handelsrecht, Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrecht und Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern, wies in seinem Referat über die neuesten Entwicklungen im schweizerischen Kartellrecht einleitend darauf hin, dass die Gesetzesrevision schleppend vorankomme. Die Bonusregelung sei möglicherweise sogar gefährdet. Sollte sie gestrichen werden, so wäre die Wettbewerbskommission gezwungen, sehr hohe Bussen auszufällen, um einen genügenden Abschreckungseffekt zu erzielen. Prof. Eleanor Fox, Walter J. Derenberg Professor of Trade Regulation, New York University School of Law, erörterte die Frage, wer für die Überwachung globaler Märkte verantwortlich sei. Sie legte die Defizite der nationalen Rechtsordnungen bei der Bewältigung der Probleme einer globalen Wirtschaft dar. Anschliessend zeigte sie zwei Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit auf. Fox ging dabei zum einen auf die WTO-Ministerkonferenz in Doha ein. Zum anderen schlug sie eine intensivere Zusammenarbeit «an der Basis» bei der Bewältigung einzelner Fälle vor. Der Präsident des Bundeskartellamtes Dr. Ulf Böge beleuchtete in seinem Referat die Problemkreise Electronic Marketplaces und Kartellrecht sowie die wirtschaftliche Entwicklung des Marktplatzes Internet unter besonderer Berücksichtigung des business-to-consumer- und des business-to-business-Geschäfts. Böge ging insbesondere auf die wettbewerbliche Bedeutung des Internets, auf kartellrechtliche Fragen und Entscheidungen des Bundeskartellamtes zu B2B-Marktplätzen sowie auf kartellrechtliche Probleme im business-to-consumer-Geschäft ein. Dr. Bernd Langeheine, Leiter des Referats Allgemeine Wettbewerbspolitik in der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, behandelte das Spannungsverhältnis zwischen Immaterialgüterrechten und den EU-Wettbewerbsregeln. Bei Artikel 81 EG standen Erläuterungen zur Gruppenfreistellungsverordnung im Bereich des Technologietransfers im Vordergrund. Besonderes Gewicht legte Langeheine bei seinen Ausführungen zu Artikel 82 EG auf die Fälle Magill und IMS, anhand derer er den Konflikt zwischen Immaterialgüterrechten und dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Artikel 82 EG aufzeigte. RA Dr. Marc Blessing, Bär & Karrer Rechtsanwälte, referierte über das Verhältnis zwischen Schiedsgerichten und europäischem Wettbewerbsrecht. Besonders erörtert wurden Fragen im Bereich der extraterritorialen Anwendung, der ex officio- Anwendung, der Konzernhaftung sowie paralleler Verfahren. Blessing sprach sich für ein Vorlagerecht der Schiedsgerichte an den EuGH aus. Er legte auch die Vorteile des Schiedsverfahrens und der Mediation dar. RA Dr. Frank Montag, Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte, sprach über die kollektive Marktbeherrschung nach Art. 82 EG und der Fusionskontrollverordnung. Er stellte die zunehmende Bedeutung der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf die kollektive Marktbeherrschung durch mehrere Unternehmen dar. Montag hob hervor, dass der Marktabgrenzung bei der Prüfung kollektiv marktbeherrschender Stellung eine grosse Bedeutung zukomme. Abschliessend zeigte Montag die unterschiedliche Entwicklung bei der Feststellung kollektiver Marktbeherrschung im Rahmen von Artikel 82 EG einerseits und der FKVO andererseits anhand der Entscheidungspraxis auf. Das Forum wurde mit dem Vortrag von Prof. Dr. Walter Stoffel, Vizepräsident der schweizerischen Wettbewerbskommission, Ordinarius an der Universität Freiburg (Schweiz), zum Thema «Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen» beendet. Der Referent widmete sich v.a. der Bekanntmachung der schweizerischen Wettbewerbskommission über die wettbewerbliche Behandlung vertikaler Abreden vom 18. Februar 2002. Dabei legte er die Struktur, den Zweck und die Tragweite der Bekanntmachung, den Begriff der Erheblichkeit sowie die Rechtfertigungsmöglichkeiten nach der Bekanntmachung dar. Da das schweizerische KG kein Verbotsprinzip kenne, sei bei Vergleichen mit dem Europarecht Vorsicht geboten. Das Forum wurde von über 160 Personen aus 12 Ländern besucht. Die Qualität der Referenten und die Diskussionsbereitschaft der Teilnehmer trugen dazu bei, dass das Forum zu einer gelungenen Veranstaltung wurde. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass die St. Galler Internationalen Rechtsforen im In- und Ausland auf grosse Resonanz stossen. Die Referate werden in Kürze in einem Sammelband im Verlag Helbing und Lichtenhahn erscheinen. Die nächsten St. Galler Internationalen Kartellrechtsforen finden jeweils Ende April statt: Das Zehnte St. Galler Internationale Kartellrechtsforum findet am 24./25. April 2003, das Elfte IKF am 29./30. April 2004 statt. Informationen sind beim Institut für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen HSG1 erhältlich. Einzelheiten bezüglich des Programmes werden voraussichtlich jeweils im September des jeweiligen Vorjahres vorliegen.



* Ass. iur., wiss. Assistentin am Institut für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen.
1 Institut für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht
   Dufourstrasse 59, CH-9000 St. Gallen
   Tel. +41 71 224 26 16
   Fax +41 71 224 26 11


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