sic! 2002 Ausgabe 11
MAGDA STREULI-YOUSSEF*

Zur Schutzfähigkeit von Formmarken

Am 1. April 2003 wird das geltende Markenschutzgesetz zehn Jahre alt. Ein Dauerbrenner in der Markeneintragungspraxis bildet die Beurteilung der Schutzfähigkeit von dreidimensionalen Zeichen als Formmarken. Die Prüfung der Schutzfähigkeit von Formmarken hat die Eintragungspraxis immer wieder herausgefordert. Welches sind die Beurteilungskriterien für die Schutzfähigkeit von Formmarken? Gelten die gleichen Kriterien wie für die anderen Markenkategorien? Reichen diese Kriterien aus?

Le 1er avril 2003, la loi sur les marques fêtera ses dix ans d'existence. En matière de pratique d'enregistrement, la question régulièrement discutée demeure l'appréciation de l'étendue de la protection des signes en trois dimensions en tant que marques tridimensionnelles. L'examen de l'aptitude des marques tridimensionnelles à être protégées a constamment mis la pratique de l'enregistrement à contribution. Quels sont les critères permettant de juger de l'aptitude des marques tridimentionnelles à être protégées? Est-ce que ces critères sont également applicables aux autres catégories de marque? Ces critères sont-ils suffisants?


I.   Einleitende Bemerkungen
     1. Das Kriterium der graphischen Darstellbarkeit
     2. Gegenstand der Untersuchung: Die Formmarke im engeren Sinn
II.  Zur Schutzfähigkeit von Form- marken im engeren Sinne
III. Kriterien für die Beurteilung der Schutzfähigkeit von Formmarken

I.  Einleitende Bemerkungen
1. Das Kriterium der graphischen Darstellbarkeit

Bevor zur eigentlichen Fragestellung, nämlich der Beurteilung der Schutzfähigkeit von Formmarken geschritten wird, ist kurz eine Bemerkung über die Darstellung der dreidimensionalen Form einer Marke im Hinterlegungsgesuch vorauszuschicken. Art. 10 Abs. 1 MSchV schreibt vor, dass die Marke «graphisch darstellbar» sein muss. Der Grundsatz der graphischen Darstellbarkeit der Marke gilt generell, d.h. für alle Markentypen gleichermassen1. Es wird mitunter als ein allgemeines Kriterium der Markenfähigkeit bezeichnet2. Das Erfordernis der graphischen Darstellbarkeit dient der Rechtssicherheit3. Die Rechtssicherheit verlangt, dass für Dritte ohne grösseren Aufwand erkennbar ist, was Schutzobjekt eines Markenregistereintrages bildet. Je nach Markentyp braucht es im Einzelfall besondere Charakterisierungsmerkmale, um den Anforderungen an die graphische Darstellung zu genügen. Im Falle der Formmarke folgt aus dem Grundsatz der graphischen Darstellbarkeit, dass ihr dreidimensionaler Charakter klar ersichtlich sein muss. Dies ist eine Voraussetzung, um den Schutzumfang der Marke hinreichend bestimmen zu können4. Das Gebot der graphischen Darstellbarkeit dient dazu, dem registerrechtlichen Erfordernis, den Gegenstand des eingetragenen Zeichens möglichst klar und eindeutig zu bestimmen, Rechnung zu tragen5.
Das Erfordernis der graphischen Darstellbarkeit ist nichts anderes als eine grundsätzliche Voraussetzung der registerrechtlichen Markenfähigkeit. Art. 10 Abs. 4 MSchV statuiert im Falle der dreidimensionalen Marke als weitere Voraussetzung, dass dies (d.h. der dreidimensionale Charakter der Marke) im Eintragungsgesuch vermerkt werden muss.

2. Gegenstand der Untersuchung: Die Formmarke im engeren Sinn
Grundsätzlich können alle Arten von dreidimensionalen Zeichen Marken sein. Für diese hat sich inzwischen der Terminus «Formmarken» durchgesetzt. Dabei wird zwischen Formmarken im weiteren Sinne und Formmarken im engeren Sinne unterschieden6. Unter der Formmarke im weiteren Sinne versteht man ein vom Objekt der Kennzeichnung physisch selbstständiges dreidimensionales Zeichen7. Demgegenüber gelten als Formmarken im engeren Sinne die Form der Ware und der Verpackung. Die nachfolgende Untersuchung bezieht sich auf diese Art von Formmarken, d.h. auf die Formmarken im engeren Sinne.

II. Zur Schutzfähigkeit von Formmarken im engeren Sinne
Nach der Legaldefinition von Art. 1 Abs. 2 MSchG ist die Marke ein Zeichen, das geeignet ist, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von solchen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Art. 1 Abs. 2 MSchG zählt Beispiele von Markenformen auf. Danach können Wörter, Buchstaben, Zahlen, bildliche Darstellungen, dreidimensionale Formen oder Verbindungen solcher Elemente untereinander oder mit Farben Marken sein. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Aufzählung von Art. 1 Abs. 2 MSchG nicht abschliessend ist und auch weitere Elemente Marken oder Bestandteile von Marken sein können.
Damit die Marke ihre Unterscheidungsfunktion erfüllen kann, muss sie unterscheidungskräftig sein8. Vom Markenschutz ausgeschlossen sind Zeichen im Gemeingut, es sei denn, dass sie sich als Marke für die Waren oder Dienstleistungen durchgesetzt haben, für die sie beansprucht werden (Art. 2 lit. a MSchG). Mit Bezug auf Formmarken sind zudem Formen vom Markenschutz ausgeschlossen, «die das Wesen der Ware ausmachen, und Formen der Ware oder Verpackung, die technisch notwendig sind» (Art. 2 lit. b MSchG).
Nach Art. 2 lit. a MSchG sind Zeichen im Gemeingut (unter Vorbehalt der Verkehrsdurchsetzung) vom Markenschutz ausgeschlossen. Die Funktion von Art. 2 lit. a MSchG besteht darin, das schutzfähige Zeichen vom nicht schutzfähigen Allgemeingut abzugrenzen. Der Ausschlussgrund von Art. 2 lit. a MSchG gilt für sämtliche Markentypen9. Art. 2 lit. b MSchG enthält im Weiteren zwei Ausschlussgründe, welche spezifisch nur für Formmarken im engeren Sinn gelten. Danach sind Formen, die das Wesen der Ware ausmachen, und Formen der Ware oder Verpackung, die technisch notwendig sind, vom Markenschutz ausgeschlossen. Der Anwendungsbereich des Ausschlussgrundes der technisch notwendigen Form ist dabei restriktiv auszulegen und auf die Form der Ware oder Verpackung einzuschränken, die ausschliesslich technisch notwendig ist.
Der Ausschlussgrund der technisch bedingten Form im Sinne von Art. 2 lit. b MSchG kann im Einzelfall auch unter den Ausschlussgrund des Gemeingutes nach Art. 2 lit. a MSchG subsumiert werden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Ausschlussgründen von Art. 2 lit. a und von Art. 2 lit. b MSchG besteht darin, dass ein nach Art. 2 lit. a MSchG ursprünglich nicht schutzfähiges Zeichen nachträglich infolge Verkehrsdurchsetzung Schutz erlangen kann, nicht dagegen ein Zeichen, das nach Art. 2 lit. b MSchG schutzunfähig ist. Hier gilt, dass das, was nach Art. 2 lit. b MSchG schutzunfähig ist, für immer schutzunfähig bleibt10. Aus diesem Grund scheint es auch sachgerecht, den Ausschlussgrund der technisch notwendigen Form nur auf solche Formen anzuwenden, die ausschliesslich technisch notwendig sind.
Infolgedessen ist bei der Prüfung der Schutzfähigkeit einer Formmarke zunächst zu prüfen, ob ein absoluter Ausschlussgrund nach Art. 2 lit. b MSchG vorliegt. Ist eine Form nach Art. 2 lit. b MSchG vom Markenschutz ausgeschlossen, erübrigt sich eine Prüfung unter dem Blickwinkel von Art. 2 lit. a MSchG. Ist eine Form nach Art. 2 lit. b MSchG nicht vom Markenschutz ausgeschlossen, ist damit die Frage der Schutzfähigkeit der fraglichen Form noch nicht erschöpfend beantwortet. Vielmehr ist die Schutzfähigkeit auch nach den anderen Ausschlussgründen von Art. 2 MSchG, insbesondere nach Art. 2 lit. a MSchG, zu prüfen.
Als Zeichen im Gemeingut gelten Zeichen, die nicht zur Identifikation von Waren oder Dienstleistungen dienen können und vom Publikum nicht als Hinweis auf eine bestimmte Betriebsherkunft verstanden werden. Zum Gemeingut gehören insbesondere Angaben über Eigenschaften, die Beschaffenheit oder die Zusammensetzung, die Zweckbestimmung oder die Wirkung von Erzeugnissen, für welche die Marke bestimmt ist, und denen als solche die erforderliche Unterscheidungskraft fehlt. Die vorerwähnten Grundsätze, die für zweidimensionale Marken gelten, sind sinngemäss auch auf Formmarken anwendbar11. Zum Gemeingut gelten hier einfache, primitive, banale Figuren und Formen wie etwa Zylinder, Kuben und Kugeln. Um unterscheidungskräftig im Sinne von Art. 2 lit. a MSchG zu sein, muss sich daher eine Form vom einfachen, gewöhnlichen Formenschatz unterscheiden. Nach der Formulierung des Bundesgerichtes ist für die Schutzfähigkeit von Formmarken ausschlaggebend, «dass sie durch ihre Eigenheiten auffallen, vom Gewohnten und Erwarteten abweichen und dadurch im Gedächtnis der Abnehmer haften bleiben»12.
Die Formulierung des Bundesgerichtes könnte suggerieren, dass sich eine konkrete Warenform genügend von den Produkten der Konkurrenz unterscheiden bzw. dass sie geeignet sein muss, ein bestimmtes Produkt von den Produkten der Konkurrenz zu unterscheiden. Die Schutzfähigkeit einer Formmarke beurteilt sich aber danach, ob sich eine Form durch unterscheidungskräftige Merkmale von einfachen, banalen Formen unterscheidet und nicht danach, ob sie sich ausreichend von anderen existierenden Formen unterscheidet. Alles andere hätte zur Folge, dass die Schutzfähigkeit von Formmarken nach Massgabe der Kriterien der relativen Ausschlussgründe im Sinne von Art. 3 MSchG beurteilt würde.

III. Kriterien für die Beurteilung der Schutzfähigkeit von Formmarken
Wie bereits erwähnt, ist der Ausschlussgrund des Gemeingutes im Sinne von Art. 2 lit. a MSchG auch auf Formmarken anwendbar. Als Gemeingut gelten einfache, primitive banale Figuren und Formen wie etwa Zylinder, Kuben und Kegel. Um unterscheidungskräftig im Sinne von Art. 2 lit. a MSchG zu sein, muss sich eine Form vom einfachen gewöhnlichen Formenschatz unterscheiden. Aufgrund der ersten Erfahrungen in der Praxis kann jedoch festgestellt werden, dass dieses Kriterium allein häufig nicht ein abschliessendes Urteil darüber zulässt, ob eine Form schutzfähig ist. Oder anders ausgedrückt: Es gibt zahlreiche Formen, die nicht als zum banalen Formenschatz zugehörig bezeichnet werden können und trotzdem nicht schutzfähig sind13. Dass sich eine Form vom einfachen gewöhnlichen Formenschatz unterscheidet, genügt im Einzelfall deshalb nicht für die Bejahung ihrer Schutzfähigkeit. Das Kriterium der genügenden Unterscheidbarkeit vom gewöhnlichen banalen Formenschatz ist daher bloss ein Kriterium unter vielen, nicht aber das einzige für die Beurteilung der Schutzfähigkeit. Die Unterscheidbarkeit einer Form vom gewöhnlichen Formenschatz ist somit per se nicht schutzbegründend.
Ein Lösungsansatz knüpft an die Formenvielfalt im betreffenden Warensegment an. Besteht in einem bestimmten Warensegment eine Vielfalt von Formen, steigen entsprechend die Anforderungen an die Originalität einer Form. Nach Auffassung des IGE weist die Form in bestimmten Warenbereichen «gewohnheitsgemäss» auf ein Produkt und nicht auf ein Unternehmen hin. Daraus leitet das IGE ab, dass aus der Form nicht auf ein Unternehmen geschlossen wird und dass mit anderen Worten die Form in diesem Produktebereich nicht als Herkunftshinweis dient, sondern der Individualisierung des Produktes gegenüber anderen Produkten aus demselben Warensegment14. Damit bringt das IGE zum Ausdruck, dass Formen, die in einem bestimmten Warensegment üblich oder gebräuchlich sind, nicht schutzfähig sind. Dem IGE ist zuzustimmen, dass es Formen gibt, die zwar produkteindividualisierend sind, aber von den Abnehmern nicht als betrieblicher Herkunftshinweis erkannt werden.
Es fragt sich daher, welche Kriterien eine sinnvolle und praktikable Abgrenzung erlauben, wenn im Einzelfall die Schutzfähigkeit einer Form zweifelhaft ist. Bei der Suche nach tauglichen Abgrenzungskriterien ist stets die Funktion der Marke im Auge zu behalten. Grundfunktion der Marke ist die Unterscheidungsfunktion15. Fezer umschreibt die Unterscheidungsfunktion teils konkreter «als Individualisierungsfunktion oder als Identifizierungsfunktion»16.
Im schweizerischen Recht steht die Unterscheidungsfunktion der Marke im Vordergrund. Dies geht insbesondere aus der Legaldefinition von Art. 1 Abs. 1 MSchG hervor, nach welcher die Marke ein Zeichen ist, das geeignet ist, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von solchen anderer Unternehmen zu unterscheiden. «Die Unterscheidungsfunktion ist das allgemeine Merkmal eines jeden Kennzeichens und entspricht der … massgeblichen Herkunftsfunktion»17.
Die Marke ist ein produkteidentifizierendes Unterscheidungszeichen18. Die Unterscheidungsfunktion einer Marke bezieht sich auf Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens, die sie von den Waren oder Dienstleistungen eines anderen Unternehmens unterscheidet19. Die Unterscheidungsfunktion der Marke erschöpft sich aber nicht darin, die Unterscheidung der Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens von den Waren und Dienstleistungen anderer Unternehmen zu ermöglichen. Die Marke dient gleichzeitig auch dazu, ein bestimmtes Produkt zu identifizieren. Daher wird die Marke als produkteidentifizierendes Unterscheidungskennzeichen bezeichnet20. Die beiden Funktionen, die Unterscheidungsfunktion und die Individualisierungsfunktion ergänzen sich.
Fasst man diese Überlegungen zusammen, ergibt sich, dass sich in Zweifelsfällen über die Schutzfähigkeit einer Form die Untersuchung in zwei Stufen vollziehen sollte. Als erstes ist zu prüfen, ob eine Form geeignet ist, die Produkte eines Unternehmens auf dem Markt zu identifizieren (produkteidentifizierende Funktion der Marke). In einem nächsten Schritt ist alsdann zu untersuchen, ob die Form die Herkunft der Produkte zu identifizieren vermag (Herkunftshinweisfunktion der Marke). Wendet man diese Kriterien an, ist es folgerichtig, dass im Falle «Baumkuchen»21 die Schutzfähigkeit der Warenform und im Falle «Weisse Pralinenschachtel»22 die Schutzfähigkeit der Verpackung verneint worden sind. Beide Formen waren geeignet, die Produkte auf dem Markt zu identifizieren, erfüllten somit die Anforderungen an die produkteidentifizierende Funktion einer Marke. Den genannten Formen fehlte aber die herkunftshinweisende Qualität, weil sie nicht geeignet waren, die Produkte von den Produkten anderer Unternehmen zu unterscheiden.
Zunächst ist daher stets zu prüfen, ob eine Form überhaupt geeignet ist, ein bestimmtes Produkt auf dem Markt zu identifizieren. Muss dies verneint werden, beispielsweise weil die Form freihaltebedürftig ist, kann die Schutzfähigkeit einer Form ohne weiteres verneint werden. Ist eine Form hingegen geeignet, ein Produkt auf dem Markt zu identifizieren, ist weiter zu fragen, ob die konkrete Form neben der Produkteidentifikation auch die betriebliche Zuordnung des Produktes erlaubt. Gefragt ist danach, ob die Form auch «herkunftshinweisend» ist. Für die Produkteidentifikation kann schon Eigenart oder Originalität genügen, nicht aber für die Herkunftshinweisfunktion23. Die Begriffe der «Eigenart» und «Originalität», die dem Urheber- und Designrecht entnommen sind, sollten überhaupt aus dem Vokabular des Markenrechts verbannt werden. Sie sind «irreführend» und haben im Markenrecht nichts verloren. So ist beispielsweise die (typische) Form einer Truffe geeignet, diese Süssigkeit von anderen Pralinen zu unterscheiden und damit das Produkt auf dem Markt als Truffe zu identifizieren. Die Form der Truffe lässt jedoch keine Rückschlüsse auf einen bestimmten Hersteller zu. Ihr fehlt die herkunftshinweisende Qualität. Ist mit anderen Worten die Form einer Truffe geeignet, das Produkt zu identifizieren und als Truffe zu individualisieren, nicht jedoch die Zuordnung zu einem bestimmten Hersteller / Unternehmen zu erlauben, fehlt ihr die markenrechtlich erforderliche Unterscheidungskraft. Die charakteristische Form einer Truffe wird nicht als betrieblicher Herkunftshinweis erkannt, sondern dient bloss dazu, eine bestimmte Süssigkeit von anderen Süssigkeiten zu individualisieren.
Entscheidend ist somit, ob die Abnehmer der fraglichen Waren die Form als Kennzeichen für Produkte aus einem bestimmten Unternehmen erkennen und diesem zurechnen. Hierfür ist wie bei allen anderen Markenformen die Unterscheidungskraft erforderlich, die besagt, dass eine Markenform herkunftshinweisende Wirkung haben muss. Ausschlaggebend für die Kennzeichnungsfunktion ist daher die herkunftshinweisende Qualität eines Zeichens und nicht, ob sich das Publikum an Waren- bzw. Verpackungsformen als Marken gewöhnt hat24. Die Gewöhnung des Publikums an Waren und Verpackungsformen als Marken birgt die Gefahr in sich, dass «originär nicht unterscheidungskräftige» Formzeichen nur durch die Gewöhnung des Publikums Unterscheidungskraft erlangen. Die «Gewöhnung des Publikums» ist ein schwer justiziables Kriterium. Unklar ist einmal, welches die Massstäbe für die Feststellung der Gewöhnung des Publikums sind. Welches ist das Verhältnis der Gewöhnung zur Verkehrsdurchsetzung? Wie ist der Zeitfaktor zu würdigen? Und vor allem müsste die Frage untersucht werden, was unter Gewöhnung des Publikums zu verstehen ist. Ist es die Gewöhnung im Einzelfall, somit die Gewöhnung an eine konkrete Waren- oder Verpackungsform? Oder ist es die generelle Gewöhnung und damit die gewandelte Perzeption des Publikums gegenüber Waren- und Verpackungsformen?
Hängt die Kennzeichnungsfunktion einer Formmarke von der herkunftshinweisenden Qualität der fraglichen Form ab, dann gelten für die Schutzfähigkeit von Formmarken die gleichen Kriterien wie für die übrigen Markenkategorien. Waren- und Verpackungsformen haben jedoch in erster Linie andere Funktionen und werden durch diese bestimmt. Die Warenform wird massgeblich von der Funktion, vom Gebrauchszweck, vom Herstellungsverfahren, von Kosten- und ästhetischen Überlegungen, die Verpackungsform von Fragen der Stabilität, der Sicherheit und des logistischen Handling geprägt. Nur wenn eine Form darüber hinaus auch geeignet ist, auf die betriebliche Herkunft einer Ware hinzuweisen, ist sie auch markenschutzfähig. Daraus folgt, dass die Kriterien für die Beurteilung der Schutzfähigkeit von Formmarken dieselben sind wie für die übrigen Markenkategorien, dass sie aber wegen der Natur der Sache anders angewendet werden wollen.
Formmarken weisen neben dem rein «dreidimensionalen Anteil» häufig auch andere Elemente auf. Dabei resultiert die Schutzfähigkeit der Formmarke oft aus der Kombination der dreidimensionalen Form mit diesen anderen schutzbegründenden Elementen. Weil für die Schutzfähigkeit stets vom Gesamtzeichen auszugehen ist, kann da- her ein dreidimensionales Zeichen schutzfähig sein, «obwohl es in seinem dreidimensionalen «Anteil» gerade nicht schutzfähig ist»25.



*Dr. iur., Rechtsanwältin, Zürich.
1RKGE, sic! 2000, 313.
2K. H. FEZER, Markenrecht, 3. Aufl., München 2001, § 8 N 11.
3RKGE, sic! 2000, 313.
4Vgl. zum Erfordernis der graphischen Darstellbarkeit der Marke FEZER (Fn. 2), § 3 N 220; § 8 N 11 ff.; ALTHAMMER/STRÖBELE/KLAKA, Markengesetz, 6. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 2000, § 3 N 10 ff.; P. STRÖBELE, Die Eintragungsfähigkeit neuer Markenformen, GRUS 1999, 1041.
5STRÖBELE (Fn. 4), 1041.
6M. STREULI-YOUSSEF, Die Formmarke, in: Marke und Marketing, Bern 1990, 53.
7STREULI-YOUSSEF (Fn. 6), 53.
8L. DAVID, Kommentar Markenschutzgesetz, 2. Aufl., Basel 1999, MSchG 1 N 9.
9Dies gilt auch für die Ausschlussgründe von Art. 2 lit. c und Art. 2 lit. d MSchG.
10STREULI-YOUSSEF (Fn. 6), 60; DAVID (Fn. 8), MSchG 2 N 48; vgl. dazu E. MARBACH, SIWR III, Basel 1996, 61.
11sic! 1998, 400 f. E. 5.
12BGE 120 II 310; PMMBl 1995, 17.
13Vgl. etwa die Fälle "Baumkuchen", sic! 2001, 128; "Weisse Pralinenschachtel", sic! 2001, 803; "Käseform", sic! 2002, 345.
14Vgl. die Erwägungen der RKGE dazu in sic! 2001, 128 E. 6.
15 FEZER (Fn. 2), Einl. N 30.
16FEZER (Fn. 2), Einl. N 30.
17ALTHAMMER/STRÖBELE/KLAKA (Fn. 4), § 3 N 7; vgl. auch DAVID (Fn. 8), MSchG 1 N 3.
18 FEZER (Fn. 2), Einl. N 39, 41, § 3 N 9 ff.
19FEZER (Fn. 2), § 3 N 10.
20FEZER (Fn. 2), Einl. N 39, 41; § 3 N 9 ff.
21RKGE, sic! 2001, 127 f.
22RKGE, sic! 2002, 346.
23Vgl. BPatG vom 4. Juli 2001, GRUR 2002, 164 rechte Spalte "BIC-Kugelschreiber".
24Vgl. aber Urteil des Gerichtes Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 7. Februar 2002, GRUR Int. 2002, 534 "Mag Lite-Taschenlampe".
25 
BPatG vom 4. Juli 2001; GRUR 2002, 165 rechte Spalte "BIC-Kugelschreiber".


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