sic! 2003 Ausgabe 6
MARION VIOL*

Zehntes St. Galler Internationales Kartellrechtsforum IKF
vom 24./25. April 2003

Am 24./25. April 2003 fand an der Universität St. Gallen das Zehnte St. Galler Internationale Kartellrechtsforum IKF statt, das unter der Leitung von Prof. Dr. Carl Baudenbacher, Präsident des EFTA-Gerichtshofs und Ordinarius an der Universität St. Gallen HSG, steht. Zum Zehn-Jahre-Jubiläum sprach erstmals der Wettbewerbskommissar Prof. Mario Monti auf dem IKF. Im Interesse der TeilnehmerInnen aus nicht deutschsprachigen Ländern wurde erstmals eine Simultanübersetzung ins Englische angeboten. In seinem Eröffnungsreferat zu den neuesten Entwicklungen in der Praxis der Europäischen Kommission sprach Dr. Sven Norberg, Direktor in der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission und Richter am EFTA-Gerichtshof a.D., über die rechtlichen und tatsächlichen Probleme im Zusammenhang mit der Modernisierung der Vorschriften über die Anwendung der Artikel 81 und 82 EG. Er sprach dabei insbesondere das European Competition Network und Fragen der einheitlichen Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts an. Neben den Reformen im Kraftfahrzeugssektor und bei der Fusionskontrolle ging Norberg auf aktuelle Entscheidungen der Kommission (insbesondere Plasterboard, Österreichische Banken, Nintendo, Viande Bovines Francaises) ein. Prof. Dr. Wulf Goette, Richter am Bundesgerichtshof und Honorarprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, erläuterte in seinem Referat zum Thema Kaufmacht und Kartellrecht den vom BGH entschiedenen Fall «Konditionenanpassung», der die Nachfragemacht und die Durchsetzung von Vorzugsbedingungen betraf. Des Weiteren stellte Goette das Urteil des BGH in Sachen «WalMart» dar, in dem es um eine verbotene unbillige Behinderung in Form einer Untereinstandspreisverkauf-Strategie ging. Vor dem Hintergrund der Vereinheitlichungsbestrebungen des Europäischen Rechts forderte Goette, dass der Schutz kleiner und mittlerer Anbieter und Nachfrager vor der Ausübung der Macht relativ marktstarker Unternehmen gewährleistet sein müsse. Prof. Dr. Walter Stoffel, Präsident der schweizerischen Wettbewerbskommission und Ordinarius an der Universität Fribourg, beleuchtete in seinem Referat über die neuesten Entwicklungen in der Praxis der schweizerischen Wettbewerbskommission die Hintergründe der aktuellen Revision des schweizerischen Kartellgesetzes. Er hob dabei die Revisionspunkte direkte Sanktionen, Bonusregelung hervor. Als wichtigsten Fall des letzten Jahres bezeichnete Stoffel die Untersuchung des Kreditkarten-Akzeptanzgeschäftes. Im Gegensatz zur Entscheidung der Kommission in der Sache Visa seien in der Schweiz die vier grössten Kreditkartenunternehmen überprüft worden. Besonders diskutiert wurde auch der Entscheid Emmi / SDF, der das Verhältnis zwischen Fusionskontrolle und Nachlassverfahren betraf. Prof. Dr. Dr. h.c. HSG Helmuth Schröter, Professor an der Universität des Saarlandes, Direktor und Anhörungsbeauftragter in der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission a.D., sprach zum Thema «Wie geht man mit den EG-Gruppenfreistellungsverordnungen um?». Anhand der Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 für vertikale Vereinbarungen und der Verordnung (EG) Nr. 2659/2000 für Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung zeigte Schröter auf, dass die Gruppenfreistellungsverordnungen ein praktikables Instrument darstellen und den Interessen der Unternehmen entsprechen. Zugleich machte er auf Probleme für Unternehmen im Zusammenhang mit den Bekanntmachungen der Kommission aufmerksam. Diese schützten die Unternehmen zwar vor kartellrechtlichen Verfolgungen. Die Bekanntmachungen könnten aber die zivilrechtliche Gültigkeit nicht sichern. Für die zivilrechtliche Wirksamkeit müssten die von der Rechtsprechung entwickelten Standards beachtet werden. Bernd Honsel, General Counsel der Allianz AG, beleuchtete in seinem Vortrag kartellrechtliche Probleme bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen. Er betonte, dass die Gruppenfreistellungsverordnung für weite Teile der Versicherungswirtschaft Rechtsklarheit geschaffen habe. Für den Bankensektor bestehe dagegen keine vergleichbar gesicherte Rechtslage. Honsel sprach sich für einen ausdrücklichen europäischen Freistellungstatbestand für unverbindliche Bedingungsempfehlungen in allen Bereichen der Finanzdienstleistungen aus. Schliesslich müssten die Normen des GWB so ausgestaltet werden, dass sie zum einen die Aufgreifkriterien für ein kartellrechtliches Einschreiten schaffen und zum anderen den Spielraum kartellrechtlich zulässigen Verhaltens für Gerichte erkennbar machen. Bo Vesterdorf, Präsident des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, betonte in seinem Vortrag zu den neuesten Entwicklungen in der Rechtsprechung des Gerichts Erster Instanz, dass das Urteil in Sachen Fenin das vierte Urteil darstelle, in dem die Rechtsprechung eine Tätigkeit als ausserhalb des Anwendungsbereichs des Wettbewerbsrechts fallend qualifiziert hat. Im Zusammenhang mit dem Unternehmensbegriff ging Vesterdorf auch auf das Urteil in Sachen Aéroports de Paris ein. Ausführlich behandelte er anschliessend die Urteile Roquette Frères und PVC II, die zu den Verteidigungsrechten in Wettbewerbssachen ergingen. Den Abschluss bildete die Besprechung der Fusionsfälle Airtours, Tetra Laval, Schneider Electric, Lagardère, Philipps und BaByliss. Prof. Mario Monti, Mitglied der Europäischen Kommission, widmete seinen Jubiläumsvortrag den neuen Herausforderungen des Europäischen Kartellrechts. Er betonte, dass die Modernisierung der Vorschriften über die Anwendung der Artikel 81 und 82 EG die zentrale Rolle der Kommission im Hinblick auf die Entwicklung der Wettbewerbspolitik stärken werde. Die Unternehmen, aber auch die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte sowie die Beitrittsländer seien auf eine Führungsrolle der Kommission bei der Anwendung des europäischen Kartellrechts angewiesen. Der Modernisierung im Bereich des Wettbewerbsrechts komme eine Vorreiterrolle für andere Bereiche zu. In seinen Ausführungen zur Reform der Fusionskontrolle ging Monti v.a. auf die Rolle des neu zu schaffenden Chief Competition Economist ein. Der Präsident des Bundeskartellamtes Dr. Ulf Böge stellte in seinem Referat zum Thema «Allgemeine versus sektorielle Aufsicht» fest, dass die Frage nach der «richtigen Organisation» des Wettbewerbs in netzgebundenen Wirtschaftszweigen wie Telekommunikation, Energie und Bahnverkehr noch relativ jung sei. Böge erläuterte die Liberalisierungsansätze in Deutschland und die Wettbewerbsaufsicht im Bereich der Telekommunikation bzw. der leitungsgebundenen Energien. Probleme bei den leitungsgebundenen Energien stellten sich hauptsächlich bei der Missbrauchsaufsicht gegen überhöhte Netznutzungsentgelte im Strombereich. Dies belegte Böge mit aktuellen Fallbeispielen aus der Praxis. Ausgehend von der These, dass es nicht ein optimales Liberalisierungsmodell gebe, führte Böge Kriterien für die Wahl des jeweils geeigneten Liberalisierungsansatzes an. RA Dr. Frank Montag, Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte, führte in seinem Referat über die neuesten Entwicklungen in der Europäischen Fusionskontrolle aus, dass das Urteil Airtours den Hauptauslöser für die Diskussion um die Geeignetheit des Marktbeherrschungstests in der europäischen Fusionskontrolle darstelle. Montag begrüsste die Beibehaltung des Marktbeherrschungstests ebenso wie die von der Kommission vorgeschlagene Klarstellung des Begriffs der oligopolistischen Marktbeherrschung. Die Anforderungen an die Beweiserbringung durch die Kommission erläuterte Montag anhand der Fälle Airtours, Schneider, Tetra Laval und BaByliss. Eine Neubewertung der Beurteilung von Nebenabreden in der Praxis der Kommission sei durch das Urteil des EuG in Sachen Lagardère erfolgt. Abschliessend stellte Montag fest, mit der Reform der Fusionskontrolle sei eine neue Phase in der europäischen Fusionskontrolle eingeleitet worden. Das modernste Fusionsrecht der Welt stelle ein Modell für andere Länder dar. Am Nachmittag des zweiten Tages sprach Sir Christopher Bellamy, President of the Appeal Tribunals of the British Competition Commission und Richter am Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften a.D., über die private Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht. Bellamy wies auf die weitreichenden Änderungen im UK-Wettbewerbsrecht hin, die am 20. Juni 2003 in Kraft treten (unter anderem Strafsanktionen mit einer Höchststrafe von 5 Jahren Gefängnis bei Hardcore-Kartellen; Disqualifikation von Direktoren bei Kartellverstössen durch die Gerichte). Bellamy hob hervor, dass den Geschädigten durch die Gesetzesnovelle weitreichende Möglichkeiten zur Geltendmachung einer Entschädigung eingeräumt werden (beispielsweise durch eine Prozessstandschaft von Verbänden). Anhand der Unterscheidung zwischen Shield and Sword Cases ging Bellamy schliesslich auf die Probleme im Zusammenhang mit der Vorschriften über die Anwendung der Artikel 81 und 82 EG ein. Der Generaldirektor der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde und Ordinarius an der Universität Wien Prof. DDr. Walter Barfuss schloss das Forum mit seinem Referat über Strafsanktionen im Kartellrecht. Barfuss erläuterte zu Beginn seines Vortrages anhand verschiedener Beispiele, was unter dem Begriff der Strafsanktionen zu verstehen ist. Anschliessend setzte er sich ausführlich mit den Argumenten für und gegen Strafsanktionen im Kartellrecht auseinander. Barfuss betonte, dass es auf europäischer Ebene neben der Konvergenz des materiellen Kartellrechts der Mitgliedstaaten mit dem europäischen Kartellrecht auch eine Konvergenz der Rechtsfolgen geben müsse. Im Ergebnis sprach sich Barfuss gegen Kriminalstrafen aus. Er schlug stattdessen verwaltungsbehördlich bzw. zivilrechtlich verhängte Bussgelder auch gegen Personen, Einbeziehen in die Urteilsveröffentlichung oder administrative Konsequenzen vor. Das Forum wurde von über 180 Personen aus 16 Ländern besucht. Die Hochkarätigkeit der Referenten, die Qualität der Vorträge und die ausserordentlich hohe Diskussionsbereitschaft der Teilnehmer und Referenten machten das IKF einmal mehr zu einer gelungenen Veranstaltung. Die Referate werden in Kürze in einem Sammelband in dem zur Beck-Gruppe gehörenden Verlag Helbing und Lichtenhahn erscheinen. Die nächsten St. Galler Internationalen Kartellrechtsforen finden jeweils Ende April statt: das Elfte St. Galler Internationale Kartellrechtsforum am 29./30. April 2004, das Zwölfte IKF am 28./29. April 2005. Informationen sind beim Institut für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen HSG1 erhältlich und unter www.sgikf.com bzw. www.sgiif.com abrufbar.



*Ass. iur., wissenschaftliche Assistentin am Institut für Europäisches und Internationlaes Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen, HSG.

Institut für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht, Dufourstrasse 59, CH-9000 St. Gallen, Tel. +41/71/224 26 16,
Fax +41/71/224 26 11, Email: euro-parecht@unisg.ch



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