sic! 2003 Ausgabe 9
DAVID ASCHMANN*

Praxis des Immaterialgüterrechts 2002 / 2003 - INGRES-Seminar
vom 1. Juli 2003 in Zürich

An einem Seminar des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz INGRES wurde die Entwicklung des schweizerischen Kennzeichen-, Design-, Urheber-, Patent- und Kartellrechts während der letzten zwölf Monate dargestellt und diskutiert. Die nächste «Praxis» wird am 1. Juli 2004 im selben Rahmen stattfinden.
Zum zweiten Mal hat INGRES im Lake Side in Zürich eine diesmal von rund 120 Teilnehmern besuchte und in Zukunft jährlich stattfindende Halbtagesveranstaltung über Immaterialgüterrecht durchgeführt. Die Teilnehmer erhielten anhand von Referaten punktuelle Einsichten in die wichtigsten Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung, bekamen eine umfassende schriftliche Dokumentation und hatten, auch am bereits traditionellen Aperitif auf dem See, Gelegenheit für Fragen, Diskussionen und persönliche Gespräche. Bundesrichter Franz Nyffeler eröffnete die Tagung, Dr. Michael Ritscher führte durch die Referate und die Diskussionen.

Kennzeichenrecht: Dr. Corsin L. Blumenthal fasste die im Berichtsjahr ergangene und ausführlich dokumentierte Rechtsprechung in vier Gruppen zusammen. Entscheide betreffend geographische Herkunftsangaben, betreffend Formmarken, zur Frage der Unterscheidungskraft von Marken und zur Berechtigung an Domänennamen hatten die kennzeichenrechtliche Entwicklung geprägt. Der Referent führte zwei Entscheide der Rekurskommission zum rechtserhaltenden Markengebrauch durch Export und zur Qualifikation als geographische Herkunftsangabe, sowie ein Urteil des Obergerichts Zürich zur Akteneinsicht im Markenstrafprozess näher aus (RKGE, sic! 2003, 138 ff.; «Boss/Boss (fig.)»; RKGE, sic! 2003, 429 ff. «öKK öffentliche Krankenkassen Schweiz (fig.) et al.»; OGer ZH, sic! 2002, 433 ff. «Levi's Jeans»). Zum Abschluss widmete er sich der Frage der Verwechslungsgefahr im Markenstrafrecht, welche als Rechtsbegriff gleich wie im Zivilrecht zu verstehen sei, jedoch auf Fälle beschränkt, in welchen das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr ohne weiteres bejaht werden kann.

Design- und Urheberrecht: Dr. Robert M. Stutz verglich einleitend die im Design- und Urheberrecht verwendeten Kriterien der Originalität, Individualität und Eigenart miteinander. Obwohl kaum begriffliche Unterschiede bestehen, unterscheiden sich die Schutzvoraussetzungen der beiden Rechtsgebiete inhaltlich klar. Im Urheberrecht sollte darum nur das Kriterium der Individualität, im Designrecht nur jenes der Eigenart verwendet werden. Zwei urheberrechtliche Entscheide des Tessiner tribunale d'appello und des Kantonsgerichts St. Gallen stellten eher geringe Anforderungen an die Individualität von Werbeplakaten und Theaterfiguren (TA TI, sic! 2002 509, «Ticino: terra d'artisti»; KGer SG, sic! 2003, 116 ff., «Slinkyman und Octopus III»). Nach einem Urteil des Obergerichts Luzern ist im neuen Designrecht unverändert der synoptische Vergleich, nicht der Vergleich im Erinnerungsbild, anzuwenden. Diese Frage blieb im anschliessenden Plenum umstritten.

Patentrecht: Dr. Fritz Blumer berichtete über die laufenden Bestrebungen zur Revision des Patentgesetzes, zur Schaffung eines eidgenössischen Patentgerichts und zur Revision von Art. 109 IPRG (Gerichtsstandswahl ausländischer Verletzungskläger). In der EU wird ein neuer Vorstoss für ein Gemeinschaftspatent, in der Europäischen Patentorganisation ein European Patent Litigation Agreement vorbereitet. Das Bundesgericht hat seine Zuständigkeit für negative Feststellungsklagen der Nichtverletzung ausländischer Patente bejaht (BGE 129 III 295, «Pulverlack») und sich bei der überprüfung tatsächlicher Feststellungen im Patentberufungsverfahren zurückhaltend gezeigt (BGer, sic! 2002, 534 ff., «Hüftgelenkprothese» und sic! 2002, 689, «Resonanzetiketten»). Bedenken äusserte der Referent zur Bestätigung eines Urteils, das sich mit einem Hinweis auf ein Patentgutachten begnügte, ohne dessen Erwägungen mit eigenen Worten nachzuvollziehen.

Kartellrecht: Dr. Reto Jacobs erläuterte die Kernpunkte der Revision des Kartellgesetzes. Insbesondere werden Einfuhrbeschränkungen, die sich auf Rechte des geistigen Eigentums stützen, und vertikale Vertriebsabreden dem KG unterstellt und wird die Möglichkeit direkter Sanktionen geschaffen. Dies erschwert zwar eine Verhinderung von Parallelimporten durch Vertriebsverträge und Verletzungsklagen; die Ausübung von Immaterialgüterrechten wird jedoch dem Risiko von Sanktionen wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ausgesetzt. Die schweizerische Regelung dürfte über das europäische Kartellrecht teilweise hinausgehen. Sie wirft Fragen zur Konformität mit dem GATT/TRIPS-Abkommen und Verfahrensfragen in immaterialgüterrechtlichen Verletzungsprozessen auf.



* Dr. iur., Zürich.

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